Cyber! Cyber!

10 06 2014

„Das liegt jetzt aber nicht am Cyber-Sicherheitsrat, der ist ja meistens informiert. Die tun zwar nichts, die wollen nur spielen, aber wenn wir mal eine Art Gefährdungslage – konkrete Fälle? Nein, kann ich nicht sagen. Hier kennen sich die Leute mit diesen Computern nicht so aus. Im Cyber-Abwehrzentrum sind wir eher für Großalarm und so zuständig.

Weil, hier arbeitet ja auch keiner. Also die Leute sind schon da, es ist eben eine Behörde, aber haben Fachkräftemangel. Die meisten hatten das richtige Parteibuch, aber wir mussten noch mehr Planstellen besetzen, und da haben wir dann auf Kräfte ohne politische Erfahrung setzen müssen. Gut, dass das Innenminister Friedrich nicht gelesen hat. Der hat ja seine Berichte meistens nicht –

Sie müssen bedenken, es ist ein deutsches Abwehrzentrum. Wenn hier nicht immer alle bei der Lagebesprechung anwesend sind, dann liegt das nicht nur daran, dass wir diese Posten mit allen in Frage kommenden Leuten besetzen mussten, die sich mit dem Thema Interwebnetz und Computer nicht auskennen, damit keiner von denen beleidigt ist. Das gibt das in deutschen Behörden so beliebte Kompetenzgerangel, und daran sieht man dann, dass alle auf Augenhöhe arbeiten. Nichts funktioniert, aber es funktioniert wenigstens politisch ausgewogen nicht. Wieso zweiter Grund? Ach so, das meinen Sie. Das liegt natürlich dann auch daran, dass wir hier ausschließlich Fachleute beschäftigen, die ihre bisherigen Posten nicht so einfach aufgeben konnten. Wenn Sie in einer Firma für, sagen wir mal, Sicherheitssoftware arbeiten, und dann bekommen Sie, sagen wir mal, einen Posten in einer Bundeseinrichtung, auf dem Sie entscheiden, ob und wie viel Geld an welche Unternehmen für Sicherheitssoftware ausgegeben wird, dann werden Sie doch nicht einfach aus dem Aufsichtsrat verschwinden, oder? Wenn solche Schwächungen in der Wirtschaft erstmal einreißen, dann haben die Terroristen doch quasi schon gewonnen, oder nicht?

Immerhin werden wir jedes Jahr von den Fachleuten informiert, was es Neues im Internetz gibt. Wir könnten auch selbst nachgucken, aber Sie wissen ja, am Ende hackt uns einer dabei. Und dann ist unser Sicherheitszentrum nicht mehr sicher. Das können wir doch nicht riskieren.

Außerdem gehen wir streng methodisch vor. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bewertet mögliche Angriffe technisch, das Bundesamt für Verfassungsschutz findet heraus, ob es sich möglicherweise um einen ausländischen Angriff gehandelt haben könnte, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bewertet die Auswirkungen auf die Infrastrukturen, und dann überlegt sich irgendwer, ob wir da etwas unternehmen. Nein, diese Sicherheitsleute sind jetzt nicht die Hellsten, was die Technik angeht, aber dafür haben die Schlapphüte vom Verfassungsschutz bei ausländischen Nachrichtendiensten auch keinerlei Kompetenz. Wir wissen dann innerhalb kurzer Zeit, dass wir alle keine Ahnung haben, und das entspricht dann wie zu erwarten dem Sachstand des Bundesinnenministers.

Wenn Sie so wollen, könnte man unser Abwehrzentrum natürlich auch ersatzlos streichen, weil wir noch gar nicht angegriffen worden sind. Also nicht so, dass wir uns dagegen hätten wehren können wollen, wenn wir gedurft hätten. Aber dann kann man auch die Bundeswehr zumachen, weil wir bisher noch keinen ordentlichen Krieg hatten. Eben, das ist eine politisch Entscheidung, und die Politik hat nun mal dafür zu sorgen, dass dieser Angriff auch als halbwegs realistische Chance für –

Das ist eine Frage der Kompetenz. Wir sind hier bisher noch nicht tätig geworden, weil das Abhören des Kanzlerinnentelefons keine Gefährdung für die nationale Sicherheit darstellt. Keine Gefahr für die nationale Sicherheit, kein Einschreiten des Nationalen Abwehrzentrums. Klar, oder? Das macht jetzt der Generalbundesanwalt. Wird ein bisschen dauern, wir hoffen, er hat bis Ende des Jahres gerafft, was ein Telefon ist. Die Kollegen haben dann mit Sicherheit einen Burnout, und dann übernimmt das nächste Team. 2022 hat er dann kapiert, dass Datenpakete nicht mit der Postkutsche ausgeliefert werden.

Wir geben unsere Informationen dann auch nur einmal im Jahr weiter, verstehen Sie? Das ist natürlich alles Teil der Strategie. Stellen Sie sich doch mal vor, wir werden von irgendjemandem gehackt, und dann machen wir das sofort publik. Das ist doch kontraproduktiv, dann wissen diese Terroristen ja sofort, dass wir das herausgefunden haben. Dann tun wir doch lieber so, als hätten wir nichts gemerkt, dann geben die Hacker vielleicht Ruhe. Wobei, wenn wir es wirklich nicht merken, dann sagen wir natürlich auch nichts. Aber das darf ich Ihnen ja eigentlich gar nicht –

Aber sicher sind wir effektiv. Wir haben unsere Aufgabe doch bestens in den Griff gekriegt. Wir wehren ab, dass dieses Cybernetz in Deutschland einen nennenswerte Rolle spielt. Darum ging es Friedrich doch. Oder was hatten Sie gedacht?“





Stimmbruch

14 11 2013

„Wir können das nicht als demokratische Entwicklung ernst nehmen. Das hat in der deutschen Politik einfach keinen Platz. Schauen Sie, Deutschland hat doch eine ungebrochenere demokratische Geschichte als beispielsweise – wie kommen Sie darauf, dass Volksabstimmungen nur in der Schweiz stattfinden?

Das brauchen wir nicht. Bei uns hat die Demokratie immer gut funktioniert, da müssen wir keinen zusätzlichen Firlefanz installieren. Unser System ist eins der besten, das kann man nicht einfach mit Plebisziten reformieren. Das braucht seine Zeit, also stellen Sie Ihren Denkanstoß hier mal in die Tür, und nach fünfzig Jahren kommen wir eventuell noch einmal darauf zurück. Falls es uns nicht in der Zwischenzeit selbst eingefallen ist.

In erster Linie geht das natürlich nicht, weil wir damit den Bundestag arbeitslos machen würden, und wer will das schon? Gut, bei vollem Lohnausgleich ließ sich darüber reden, aber das war ja nicht das Thema. Die Abgeordneten haben oft nicht die Zeit, manchmal wissen Sie auch nicht, was Sache ist, oder sie lesen ihre Unterlagen nicht, aber deshalb kann man diese Experten doch nicht so einfach bevormunden. Die müssen doch vollkommen unabhängig vom Wähler –

Wir haben Friedrich überhaupt nicht einseitig kritisiert! Ich verbitte mir diese Art von Kritik, hören Sie? Das war nicht einseitig! Überhaupt nicht! Das war die Bundeskanzlerin Frau Doktor Angela Merkel, und Gröhe war auch ihrer Meinung. Also möchte ich Sie doch schon bitten, dass Sie ein bisschen objektiver berichten!

Da ist doch jetzt schon so eine Mehrheit an linken, systemfeindlichen Kräften im Bundestag. Wollen Sie die etwas durch Agitation noch stärker machen? Die Regierung repräsentiert doch nicht die – nein, anders: die Mehrheit repräsentiert doch schon längst nicht mehr diese Regierung, und die wurde meines Wissens nach demokratisch gewählt.

Es ist doch eine Frage des Stimmrechts. Sollen wir denn da einen Stimmbruch riskieren? Und das steht doch schon so im Grundgesetz: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Dass sie auch dahin zurückkehrt, davon ist da nicht die Rede.

Vor allem ist es ja die einseitige Ausrichtung auf die interessierten Bürgerinnen und Bürger, die das Ergebnis verfälschen könnte. Wir haben dann eine Beteiligung von weniger als der Hälfte der Wahlberechtigten, und solange nicht sichergestellt werden kann, dass das auch genau die sind, die sonst die Union wählen, können wir das nicht gutheißen.

Nein, auch nicht für Großprojekte. In Stuttgart hat sich die Sache nicht bewährt, und wenn wir jetzt für den Berliner Flughafen – was machen wir eigentlich, wenn wir irgendwann in Berlin wieder am Ruder sind? Wir müssten und dann ja an den eigenen Protestpotenzialen orientieren. Das geht ja nun wirklich nicht.

Schauen Sie sich bloß mal diese Entwicklung in Bayern an. Das sollte die CSU eigentlich wissen. Wir haben die kompetentesten Köpfe aufgefahren, die Bürgerinnen und Bürger rund um die Uhr auch im öffentlichen Raum mit den richtigen Ansichten zur Meinungsbildung unterstützt, wir haben auch da, wo es noch nicht ganz geklärte Einzelheiten gab, eindeutig gesagt, was unserer Ansicht nach die richtige Entscheidung ist – und diese undankbaren Leute wollen einfach keine Olympischen Spiele! Wir haben ganz offen gesagt, es könnte dazu kommen, dass massive Gewinne auftreten, wo auch immer, und sie haben es nicht einmal für die Wahrheit gehalten. Was wollen Sie denn da noch machen?

Dann aber erst ab zehn Millionen Stimmen, und dann müsste man sich schon irgendwie als beglaubigte Interessengruppe ausweisen können. Gerne auch per Postkarte oder App, oder wir führen da so interne Listen, wenn uns das Bundesverfassungsgericht nicht wieder die Arbeit stoppt. Aber wir bräuchten da schon Listen, verstehen Sie – wir sind dann für die allgemeine Maut, und diese Ökostalinisten, die sowieso nur ihre rot angepinselten Chinaräder fahren, die kommen dann eines Tages bei uns an und wollen eine Ausnahmeregelung. Das geht nicht.

Der Bürger an sich ist möglicherweise noch nicht reif genug für diese politische Ausdrucksform. Man müsste diese Abstimmungen vielleicht erst mal zehn bis zwanzig Jahre lang ausprobieren, bevor man sie legalisiert. Da könnte uns natürlich auch der Innenminister helfen, der hat ja auch den Zugriff auf die Kontrolltechnologien, wer da wie abstimmt.

Wir könnten uns vorstellen, die Kosten zu minimieren und Volksabstimmungen nur noch punktuell durchzuführen. Dann können wir die geeigneten Themen auch besser bündeln und den Bürgerinnen und Bürgern als ein nationales Gesamtpaket von Maßnahmen vorschlagen. Das ist sicher effektiver und mobilisiert mehr Menschen. So alle vier Jahre, dachten wir. Höchstens.“





Kaufland

17 10 2013

„Wenn Sie bitte Ihre Kundennummer bereithalten möchten? Ah, Sie hatten einen Reklamationsfall – wir werden später noch dazu kommen, jetzt erst Ihre neue Bestellung. Sie wollen doch schnell Ihr Gesetz bekommen, oder?

Also einmal die Sonderregelung für besonders energieintensive Betriebe, gültig für homöopathische Heilpraxen. Klar, man soll ja die positiven Energien nicht zu hoch besteuern. Wir würden da bei einer Kleinspende zu 20.000 und zwei weiteren Beträgen zu je 4.000 Euro tätig werden, oder wünschen Sie es lieber zu stückeln? und zahlen Sie offiziell oder lieber per Briefumschlag? Ich bitte um Verzeihung, aber die Kollegin hatte beim vorigen Bestellvorgang die favorisierte Zahlungsart gelöscht. Das kann bei Großabnehmern schon mal passieren.

Nutzen Sie den Großbestellerrabatt weiterhin? Ich kann Ihnen sonst noch drei Prozent Skonto für große Gesetzespakete anbieten, oder für Sammelbesteller unsere bewährte Sicherheitspauschale: das Gesetz wird im Bündel mit einer Bundesverordnung zum Aufblasen von Luftballons an einem Tag durchgewunken, an dem maximal zehn Abgeordnete im Bundestag sitzen, weil der Rest ein Fußballländerspiel guckt. Absolut sicher. Gegen fünf Prozent Aufschlag stellt sich Ursula von der Leyen eine Woche lang vor jedes Mikrofon und erzählt, wer das Gesetz nicht unterstützt, befürworte Kindesmissbrauch. Sie können natürlich auch Ihre Bonuspunkte vom letzten Kauf einsetzen. Dann bekommen Sie die Sicherheitspauschale zum halben Preis, oder Ursula von der Leyen für zwei Tage, inklusive Interview im Morgenmagazin. Sicherheitspauschale? Gute Wahl. Die Alte kann meist schon nach einem Tag keine Sau mehr hören.

Und dann der geringere Mehrwertsteuersatz für Champagner? Gerne. Da, wo Sie herkommen, ist das ja sowieso ein Grundnahrungsmittel. Ich meine nicht Ihre Herkunft, sondern das Milieu, in dem Sie sich herum… also bewegen, nicht wahr. Wir hätten hier ein Schnäppchenangebot bei Umsatzsteuer-Wünschen, wenn Sie Höschenwindeln oder ein anderes Produkt von unserer Liste auch zur Reduzierung vorschlagen, bekommen Sie zwei zum Preis von einem. Weil es dann so einen sozialen Anstrich bekommt. Wenigstens äußerlich. Doch lieber nur den Schampus? Gerne. Passt auch besser zu Trüffeln. Die haben ja schon sieben Prozent.

Oder kombinieren Sie Ihr Gesetz gerne noch mit einer EU-Richtlinie. Das kostet Sie nichts extra, aber wir können damit ein beschleunigtes Verfahren in Gang setzen. Nein, das bringt Ihnen jetzt keinen finanziellen Vorteil, aber Sie tun in dieser Hinsicht ein gutes Werk, weil Sie Ihrer Bundesregierung die Arbeit erleichtern in dieser schweren Zeit, wo man nie so richtig weiß, kann man noch machen, was man will, oder droht einem schon die Demokratie. Unsereins muss auch sehen, wo er bleibt.

Aber Sie hatten ja auch noch eine Reklamation, richtig? Es ging um das Kriegswaffenkontrollgesetz und die nicht erfolgte Neufassung? Hätten Sie mal besser in die Lieferbedingungen geschaut, die sind nämlich eindeutig: bei unsachgemäßem Gebrauch besteht keine Haftung. Das ist bedauerlich, aber ich kann Ihnen da leider nicht weiterhelfen. Nein, das ist nicht der Punkt – Sie können den Artikel so verwenden, wie Sie wollen, nur erlischt dann eben jede Gewährleistung. Wenn es verboten ist, Waffen und Munition zu verkaufen, dann sollten Sie es auch nicht tun, sonst ist die Garantie futsch. Oder Sie müssen es halt mit EU-Recht probieren, irgendeine bescheuerte Ausnahmeregelung gibt es zu jedem Gesetz, und dann gibt es eine Ausführungsbestimmung, die angibt, dass man jeden beliebigen Fall zur Ausnahme deklarieren kann. Halten Sie sich an die Gebrauchsanweisung, dann haben Sie auch keinen Ärger. Oder verkaufen Sie erst die Waffen und dann die Munition.

Wir haben gerade eine Neuregelung für Drohnen neu eingelistet, die kommt in der nächsten Legislaturperiode serienmäßig. Einschließlich einer großen Tube Sekundenkleber. Den Kleber bekommen Sie gratis zur Drohne, und de Maizière bekommen Sie gratis zum Kleber dazu. Möchten Sie sich Ihr persönliches Paket reservieren lassen? Nein, das ist nicht absetzbar. Also die Spende schon, die können Sie natürlich absetzen. Aber nicht de Maizière.

Möchten Sie sich selbst beteiligen? Ich frage, weil Sie eventuell eine Anwaltskanzlei haben, die Ihnen die Gesetzestexte schreibt. Falls Sie auf Nummer Sicher gehen wollen. Oder falls Sie in etwa wissen, wie so eine Bundesregierung arbeitet. Nur eine Frage, wie gesagt. Sie bekommen auch Full Service, wenn Ihnen das lieber ist. Dann liefern wir zum Wunschtermin, gerne auch außerhalb der Koalitionsvereinbarungen als bereits in Gang gesetzter Verwaltungsvorgang, der nicht mehr im Parlament angehalten werden kann. Da sind wir sehr flexibel. Verpackung geht wie immer extra, Unterschrift des Bundespräsidenten bekommen Sie kostenlos dazu. Dann drücken Sie jetzt bitte Ihre Geheimzahl – vielen Dank, Sie haben damit den Bestellvorgang abgeschlossen. Eine gute Wahl, Ihre Bundesregierung beglückwünscht Sie zu Ihrem neuen Gesetzespaket! Und nur jetzt, einmalige Gelegenheit für Sie persönlich, lieber Kunde, dieses Angebot verfällt nach dem Auschecken: möchten Sie für den reduzierten Kostensatz das Bonus-Upgrade für höhere Abgasnormen?“





Extremismus in der Mitte

2 10 2013

„Radikal? Dass die mit der Demokratie als solcher nicht viel am Hut haben, geschenkt, aber radikal?“ „Natürlich.“ „Also wirklich: radikal? Mit allen Konsequenzen?“ „Mit allen Konsequenzen.“ „Und Sie finden das richtig?“ „Fanden Sie das denn richtig bei anderen?“ „Darum geht’s doch gar nicht. Finden Sie es richtig, dass der Verfassungsschutz sich die vornimmt?“ „Klar. Was hat die FDP schon zu verlieren.“

„Gut, marktradikal.“ „Eben.“ „Und mit der Verfassung hat das auch nicht viel zu tun.“ „Eben.“ „Aber dass man die nun gleich beobachten muss?“ „Wieso denn nicht? Ist doch ganz im Sinne der Bundesregierung. Es schafft Arbeitsplätze.“ „Aber schauen Sie sich doch mal den Nachwuchs dieser Partei an.“ „Ist der besser?“ „Immerhin haben sie die von der Straße weggeholt. Sonst wären doch solche Leute bei der NPD gelandet.“ „Sie meinen, nur weil man sie bisher nicht verboten hat, sind sie halbwegs tolerierbar?“

„Sie machen das immer noch an Westerwelles Äußerungen über Arbeitslose fest.“ „Stört Sie das?“ „Er hat es möglicherweise nicht so gemeint.“ „Wissen Sie, wer es möglicherweise auch nicht so gemeint hat?“ „Ja, ist ja gut.“ „Und was stört Sie überhaupt an der Tatsache, dass jemand durch den Verfassungsschutz beobachtet wird?“ „Aus welchem Grund denn?“ „Braucht man denn dazu einen? Ich dachte immer, so eine verdachtsunabhängige Kontrolle sei vollkommen normal.“ „Verdachtsunabhängige Kontrolle?“ „So war das von unserer Regierung immer zu hören. Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu befürchten.“ „Das ist eine Einzelmeinung!“ „Stimmt, es war nur eine einzelne Regierung. Der meines Wissens auch die FDP angehörte.“

„Aber mal zurück zu Ihrem Vorwurf: was haben Sie an der FDP eigentlich so Verfassungsfeindliches gefunden? Außer diesem ominösen Westerwelle-Zitat vor Jahren?“ „Könnte man die letzten Jahre der Wirtschaftspolitik als korrupt bezeichnen?“ „Naja, gut.“ „Nicht am Gemeinwohl orientiert?“ „Hm.“ „Mafiastrukturen?“ „Ich möchte es nicht direkt als Übertreibung bezeichnen, aber…“ „Was würde man mit einer linken Partei gemacht haben, die solchen Mist fabriziert hätte?“ „Die wäre immerhin links gewesen.“ „Ah, verstehe.“

„Und dass die FDP eine grundlegende Reform des Verfassungsschutzes fordert, das interessiert Sie wohl gar nicht?“ „Das fordert die Linke auch.“ „Was hat das denn damit zu tun?“ „Damit macht sie sich doch erst recht verdächtig.“ „Weil sie offensichtlich etwas zu verbergen hat.“ „Sagt wer?“ „Die Bundesregierung.“ „Wird die eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet?“ „Wieso?“ „Naja, ich dachte, die haben auch nichts zu verbergen.“ „Haben sie auch nicht.“ „Dann könnte man sie also theoretisch beobachten?“ „Theoretisch schon, aber wozu denn?“ „Weil sie nichts zu verbergen haben.“ „Wie die FDP?“ „Haben die etwas zu verbergen?“ „Was fragen Sie mich?“ „Ich denke nicht.“ „Also müsste man sie doch theoretisch beobachten können.“ „Aber wozu?“ „Um herauszufinden, ob sie tatsächlich nichts zu verbergen haben.“

„Immerhin hat die FDP doch teilweise…“ „Also nicht die komplette Partei.“ „… dagegen protestiert, dass die Linken ausgespäht werden.“ „Also nicht die ganze Partei, weil sie wussten, dass sie mit etwas Protest nicht viel erreichen und trotzdem gute Publicity bekommen.“ „Es war ja auch nicht so schlimm wie bei anderen Parteien.“ „Geht es da eventuell nach Proporz?“ „Wahrscheinlich nur nach der Anzahl der freien Kräfte.“ „Das ist ja bitter, dann hat die FDP ihre ungestörte Entfaltung letztlich dem Fachkräftemangel zu verdanken.“ „nd Sie müssen das in Relation sehen. Die Linken haben ja in Wirklichkeit für den Sozialismus gekämpft.“ „Was Sie nicht sagen.“ „Das war ja wesentlich subtiler als das Vorgehen der Liberalen, bei denen erkennt man doch die politischen Ziele sofort.“ „Und deswegen ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowieso überflüssig?“ „Kann man so sehen.“ „Und warum wurde dann das NPD-Verbot versucht?“

„Sie haben das nicht begriffen: die Linken werden bespitzelt, weil von ihnen eine Gefahr für die Demokratie ausgehen könnte.“ „Könnte.“ „Weil sie ja auch nicht zwingend in demokratische Entscheidungen eingebunden ist, darum muss man die Gefahren auch im Vorfeld beobachten.“ „Guter Hinweis. Damit müsste man die FDP doch zum Staatsfeind machen können.“ „Warum das denn?“ „Eine Partei, die gar nicht mehr im Bundestag sitzt, könnte dann doch erst recht gefährlich sein für die Demokratie.“ „Wie das denn?“ „Die sind doch an demokratischen Entscheidungen auch nicht mehr beteiligt.“ „Hören Sie mal, eine Partei, die gar nicht im Deutschen Bundestag sitzt, die kann doch gar nicht an demokratischen Entscheidungen beteiligt sein, und deshalb ist sie auch nicht…“ „Haben Sie mal kurz eine Minute?“ „Warum?“ „Ich wollte kurz bei der NPD durchrufen.“

„Ich verstehe Ihren Denkansatz, aber Sie haben da etwas Grundsätzliches übersehen.“ „Nämlich?“ „Alle Ideen, die revolutionären, bahnbrechenden und nachhaltigen Denkansätze, alles Progressive, alles das, was die Politik künftiger Generationen prägt, alles das findet sich früher oder später im Bericht des Verfassungsschutzes wieder.“ „Und?“ „Haben Sie sich denn nie gefragt, warum die sich nicht die Bohne für die FDP interessieren?“





Zeugnistag

1 10 2013

„… geradezu vorbildhaft eine ressortübergreifende Inkompetenz zu zeigen. Im Rahmen seiner intellektuellen Möglichkeiten war er stets ein Quell der Heiterkeit für Personal mit akademischem Hintergrund. Sein Branchenwissen war für ihn immer verfügbar, da er nicht viel mit sich nehmen musste. Wir hoffen, dass Herr Rösler in absehbarer Zukunft eine Anschlussverwendung als…“

„… für seine eigene Schublade. Herr Schäuble erwies sich in der Herausforderung der Krise als umsichtiger Fachmann, der etwaige Hilfspakete, Steuererhöhungen und Etatkürzungen, die vor der Wahl noch rot-rot-grüne Propaganda sozialistischer Blutsauger waren, nach der Wahl als zweifelsfrei notwendige Erfordernisse des Staates zu formulieren wusste. Sinnlose Kompromisse, folgewidrig konstruierte Steuerabkommen und grundgesetzwidrige Schattenhaushalte waren ihm aus der täglichen Praxis vertraut. Sein Engagement für Europa kam gänzlich ohne Beschäftigung mit der deutschen Wirklichkeit aus. Er trug nicht zum guten Betriebsklima bei, ist jetzt aber endlich weg vom…“

„… die ihr übertragenen Aufgaben auf ihre eigene Art zu lösen versuchte. Alle Kleinkrämer, -tierzüchter und -sparer verdanken ihr ein innovatives Wartesystem bis zur Ankündigung einer Ankündigung eines neuen Zehn-Punkte-Plans für Ankündigungen. Frau Aigner ging einige der anstehenden Belange mit großem Eifer an, ganz manchmal auch zur vollen Zufriedenheit der ministeriellen Mitarbeiterschaft, die stets zur vollsten Zufriedenheit informiert war. Sie verlässt die Bundesregierung auf eigenen Wunsch, um sich der Zucht von laktosefreien Magermilchkühen sowie des Latte-macchiato-Rindes zu…“

„… unseren Erwartungen und Anforderungen in jeder Hinsicht und in allerbester Weise entsprochen. Er zeigte stets eine weit überdurchschnittliche Arbeitsqualität, wenn auch nicht in seiner politischen Verantwortung. Herr Westerwelle wurde seiner multifunktionalen Rolle als Vizekanzler, Agitator, Selbstdarsteller und Knalltüte vom Dienst jederzeit und selbst gerecht. Daneben hatte er im Auswärtigen Amt einen Schreibtisch. Seine Umgangsformen waren nicht der Erwähnung wert. Wir werden ohne ihn in eine hoffnungsvolle Zukunft voller.…“

„… ist Pofalla jetzt weg. Er wird dank seiner flexiblen Persönlichkeit und ebensolcher Fachkenntnisse für alle weiteren Hilfstätigkeiten stets zur vollsten…“

„… ins Amt geriet. Herr Altmaier war sich der Tragweite seines Amtes stets voll bewusst, er sah sich als Umweltminister. Daneben zielte sein Wirken als Umweltminister im Ministerium für Umwelt stets darauf, der Umweltminister zu sein, der im Umweltministerium der Umweltminister des Umweltministeriums ist. Er hinterlässt eine Lücke, die ihn vollständig ausfüllt, sobald er nicht mehr der Umweltminister ist, der im Umweltministerium…“

„… versuchte nach bestem Vermögen herauszufinden, was seine Aufgaben waren. Herr Friedrich zeigte großes Engagement bei der Trennung von Beruf und Verfassung, bei Beschäftigung mit Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und der Missachtung von Menschenrechten entwickelte er rasch liebevolles Einfühlungsvermögen. Bei staatsrechtlichen Themen war er für alle Fachfremden, Wirrköpfe Verschwörungstheoretiker ein gern gesehener Gesprächspartner, dessen integrative Kraft die…“

„… war fünf Euro wert. Seinem eigenen geistigen Horizont entsprechend beschäftigte Herr Bahr sich vorwiegend mit Demenz und Korruption. Die von ihm initiierten Gesetzesentwürfe zeigen seine eigene Handschrift, sie sind von erfrischender Überflüssigkeit. Seinem Wunsch nach Generationengerechtigkeit entsprechend hat er für die kommenden Amtsinhaber nicht nur sämtliche Fragen offen gelassen, sondern auch zahlreiche neue Probleme…“

„… einmal die Wahrheit gesagt. Ansonsten wusste Herr Brüderle sich gut zu verkaufen, da er auch sonst nichts anderes…“

„… viele interessante Aspekte in ihre Arbeit einzubringen zu beabsichtigen gewillt war. Frau Schröder besitzt eine vielschichtige Begabung, sie ist sowohl Frau als auch Hessin. Mit einer komplexen Denkweise fiel sie nicht unangenehm auf. Ihre Prioritäten setzte sie da, wo sie keinem anderen auffielen. Besonderes Anliegen war ihr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weshalb sie auf eigenen Wunsch wieder ins Privatleben…“

„… wusste Neumann als Kulturstaatsminister für die Filmförderung starke Akzente zu setzen. Er war damit ähnlich populär wie Altpräsident Wulff. Er erfasste das Wesentliche seines Amtes, teilweise war er Kabinettskollegen namentlich bekannt. Einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben wir gerne entsprochen und nehmen zur Kenntnis, dass er nicht mehr…“

„… im Großen und Ganzen zur Zufriedenheit des Arbeitgebers verlaufen ist. Frau Leutheusser-Schnarrenberger überzeugte durch pflichtbewusstes Vernichten der Arbeit anderer Ressorts, so dass eine eigene Leistung sich für sie nicht lohnte; sie war während der Dienstzeiten anwesend. In ihren Kernbereich fielen Forderungen nach Aufklärung der Regierungsarbeit. Die Ministerin verlässt die Bundespolitik daher im beiderseitigen…“

„… nach eigenem Dafürhalten wusste, in welchem Ministerium er beschäftigt war. Sein Geschmack für Mützenmode und Teppiche gab der Amtsführung eine jederzeit bemühte Note. Er zeigte im persönlichen Umgang gerne, dass er alles, wovon er keine Ahnung hatte, besser wusste. Herrn Niebel zu großem Dank verpflichtet sind jene Mitarbeiter, die nach seinem Vorbild einen eigenen Arbeitsplatz mit Pensionsanspruch im…“

„… sich dankbar zeigte, dass er auch mal Bundesminister sein durfte. Herr Ramsauer beschäftigte sich in vorbildlicher Weise mit global drängenden Problemkreisen wie der deutschen Streusalzreserve, ohne die ein sofortiges Scheitern der Bundesregierung sowie die Implosion des Weltalls hätte unmittelbar bevorstehen können. Ein Herzensanliegen war es ihm, dass er öffentlich über Nummernschilder reden konnte. Großes Durchhaltevermögen hat er während seiner ganzen Amtszeit gezeigt, indem er immer wieder versprochen hat, sich demnächst aber ganz bestimmt mit der Deutschen Bahn zu beschäftigen. Wir freuen uns, ihn demnächst zu vermissen, und kündigen an, für ihn keine Verwendung mehr zu…“

„… vorwiegend mit fachfremder Materie beschäftigte. Ihre Arbeitsweise war originell. Die Aufgaben, die sie für ihr Ministerium reklamierte, hatten mehrfach mit ihrem eigenen Bereich zu tun, wurden jedoch nicht durch nennenswerte Sachkenntnis berührt. Frau von der Leyen war stets bemüht, ihre private Meinung in den Diskurs einzubringen. Es ergaben sich daher viele Möglichkeiten ihrer Kabinettskollegen, auf ihre Initiative zu reagieren, in Einzelfällen nicht nur auf der persönlichen Ebene. Sie war stets mit Interesse bei der Sache, und zwar bei der eigenen, deren…“

„… war Frau Schavan als Ministerin beschäftigt. Wir danken für ihr Ausscheiden und wünschen uns…“

„… versehentlich ins Verteidigungsressort geriet, wo er alle zum Haus gehörigen Aufgaben teils nicht zur Kenntnis nahm, teils so aufmerksam ignorierte, dass er hinterher genau wusste, wer daran schuld gewesen war. Ungewollt gelang Herrn de Maizière die Abschaffung der Wehrpflicht. Durch unglückliche Umstände wurden stets im richtigen Augenblick Akten in seinem Zuständigkeitsbereich vernichtet, was auf seine Initiative auch im ihm stets freundschaftlich verbundenen Innenressort sowie in den anderen Geheimdiensten praktiziert wurde. Durch eine Verkettung nicht vorhersehbarer Ereignisse sagte er die Wahrheit, blieb jedoch stets zu seiner vollsten Zufriedenheit im Amt. Die deutsche Rüstungsindustrie verliert einen ihrer treuesten, preiswertesten und…“





Abgehoben

30 09 2013

„Und dann haben sie immer alle gelächelt, aber so ganz komisch, und alles war in so einem gelben Licht, und dann wurde ich plötzlich sehr müde, und dann war ich bewusstlos, und auf einmal war dann alles weg.“ „Interessant. Erzählen Sie weiter.“

„Ich wusste am Anfang gar nicht, wo ich war, da haben die mich einfach so mit reingezogen, und dann war da alles gelb, und dann blau, und laut war das da auch, fürchterlich laut, und ich war wie gelähmt, ich wollte da gar nicht rein, ich hatte ja immer die Angst, was passiert eigentlich, wenn mich die Nachbarn hier so sehen oder meine Mutter, das hätte die doch bestimmt nicht gewollt, und dann ist das ganze Ding in die Luft gegangen, nein: abgehoben, irgendwie aber sehr schnell, also doch wie so eine Explosion, und ich war da drin und kam auch nicht mehr raus.“ „Schön. Erzählen Sie ruhig weiter.“ „Dann waren da so komische Typen, die haben nicht mehr gelächelt, und dann hat alles durcheinandergeschrien, ‚Leistung muss sich wieder lohnen‘ und ‚Steuersenkungen‘ und ‚Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein‘, und noch mehr so Sachen, und dann schrie irgendeiner was von geistigem Sozialismus, aber das konnte man schon gar nicht mehr verstehen, weil das Echo von dem anderen Geplärr schon so laut war, und dann tat es plötzlich einen Knall, das war nicht der einzige Knall, den die hatten, aber das war der erste Knall von denen, an die ich mich erinnere, und dann war es auf einmal auch ganz leise.“ „Aha. Gut, gut. Erzählen Sie weiter.“

„Dann war da wieder dieser Lichtstrahl, aber ich weiß nicht mehr, wozu der eigentlich noch da war, das Ding war ja schon viel zu voll, und dann hörte man immer so ein merkwürdiges Gemurmel, ‚Markt, Markt, Markt‘, und ich konnte nicht sagen, woher das kam, aber letztlich hat sich so richtig auch keiner dafür interessiert, das war eigentlich eher so eine Art Geräuschkulisse.“ „Interessant. Weiter, bitte.“ „Und dann knallte es ja später auch mehrmals, und dann weiß ich gar nicht, was da alles passiert war, und dann sagten sie alle, das sei aber letztlich normal.“ „Aha.“ „Das war dann irgendwie so wie eine Gehirnwäsche, und ich weiß auch nicht, wie lange das gedauert hat, aber dann war diese eine Stimme weg, die ständig etwas von Sozialismus und Steuersenkungen gebrüllt hat, und dann haben sie den Boden in der Mitte angehoben, und dann haben sie einen Stuhl hingestellt, und dann ist da dieser Giftzwerg draufgeklettert, der ging mir bis zu den Knien, und der hat dann was von Fröschen erzählt und noch irgendwas, ich weiß nichts mehr, mir ist dann so übel geworden.“ „Ja, verstehe. Erzählen Sie ruhig weiter.“

„Dann haben sie plötzlich angefangen, uns Sachen in den Kopf einzupflanzen, das fühlte sich ganz komisch an, Hotelfrühstück und Steuervergünstigungen für energieaufwendige Schwerindustriebetriebe wie Golfklubs und Schönheitskliniken, Flugbereitschaft für geschmuggelte Teppiche, und dann haben sie uns gesagt, dass alles gut wird und dass wir jetzt gleich noch weiter abheben werden, und dabei ging das Ding dann vom Sinkflug über in den ungebremsten Sturz ins Bodenlose.“ „Soso. Erzählen Sie mal weiter.“

„Wir musste aber alle ständig lächeln, alles war gut und wir wurden gefragt, ob wir nicht noch jemanden wüssten, falls plötzlich wieder mehr Platz sei oder einer aus dem Ding da rausflöge, und dann kam der Doktor, wobei, ein richtiger Doktor war der da ja schon gar nicht mehr, und dann kam hier der Ausstieg und da der Umstieg, und dann wusste keiner mehr weiter und es wurde der Abstieg, und dann war da ein Bundestrojaner und dann kam eine Lohnuntergrenze, und dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.“ „Erzählen Sie weiter.“ „Wie gesagt, ich weiß gar nichts mehr, und dann kam da ein dicker alter Mann, der wusste auch nichts mehr, und der meinte, er habe aus Versehen die Wahrheit gesagt, und das sei jetzt alles gar nicht so gemeint gewesen, und dann hat es wieder geknallt, und dann waren auf einmal ein paar von den Leuten einfach weg, und dann weiß ich auch nicht mehr weiter, aber das wusste in dem Moment wohl keiner.“ „Aha. Erzählen Sie weiter.“

„Dann kam der Moment, da wurde es plötzlich unangenehm eng, da kriegte ich keine Luft mehr, es schrumpfte wieder, wie so eine Art Urknall, aber umgekehrt, und die um mich herum meinten dann, das würde ich mir nur einbilden, das sei alles noch wie vorher, ich müsste nur daran glauben.“ „Aha. Weiter.“ „Aber dann musste ich mich so weit erniedrigen, ich musste betteln, und dann kam da plötzlich dieses große, dunkle Loch, und alle meinten, wir würden das schaffen, und dann fielen wir in dieses dunkle Loch rein, und dann war plötzlich alles weg, und dann bin ich aufgewacht, und dann konnte ich mich an nichts mehr erinnern.“ „Aha. Und wie fühlen Sie sich dabei?“ „Schlecht. Sehr schlecht. Ständig diese Angst, dass das alles noch mal passieren könnte.“ „Nein, glauben Sie mir: das passiert garantiert nicht noch mal. Die sind weg.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXIII): Alternativlosigkeit

20 09 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Mensch als solcher wird alternativlos geboren – erlebte er seinen ersten Schrei aus mannigfaltigen Gründen nicht, er hätte folglich keinen Anlass, seine Existenz unter philosophischen Gesichtspunkten zu betrachten. Er wäre ja nicht dabei. Müsste sich aber andererseits auch nicht das Gejammer anhören, das die Bratzenzunft vor der Weggabelung veranstaltet. Sekt oder Selters, Skylla oder Charybdis, Freiheit oder Tod, irgendwas ist ja immer. Leben heißt folglich Aussuchen, und wir haben die Wahl zwischen Langeweile und Leiden. Welches Gesichtsschnitzel spräche je ernsthaft von Alternativlosigkeit?

Früher haben sie den Bürger, vulgo: das dumme Stück Stimmvieh, das seine sauer verdienten Kröten der korrupten Klasse durchreichte, noch mit als Argumentation verkleideter Buhmännerei zu leimen versucht: Keine Experimente! Immerhin waren Sozialismus, Willywählen oder Abfall vom Glauben aus purer Bosheit kontingent. Man hätte es auch als liberal bezeichnen können, und was hätte man der herrschenden politischen Klasse damit angetan; die Hauptsache aber ist, Geschichte und Gesellschaft sind im Rahmen vorhandener Denkmasse stets interpretationswürdig und -geeignet, nur die in totalitärer Anschauung verhafteten Realitätsverweigerer nieten den Lauf den Dinge vorsichtshalber am Boden fest – und es ist nicht der Boden der Tatsachen. Geboren ist das genauer Gegenteil vom denkbaren Rest.

Die von sozialverträglichem Hirnabbau gebeutelte Politeska hat offensichtlich ihr Lieblingsspiel perfektioniert: sie definiert alles, sie definiert das Experiment, sie definiert schon die Möglichkeit zum Experiment kategorisch weg und lässt sich daher aus Einfachheit als beste aller möglichen Vollstreckerinnen des Singulären feiern, das schließlich nur zur besten aller möglichen Welten führen kann. Wer wie Deutschlands promovierteste Physikerin die Weichen aufwärts stellt, weil ihr der Atem stockt, und zwar in zwei Richtungen, der hat auch die Haare schön und die Logik immanent, weshalb es kein ent-oder-weder geben kann, weil nicht ist, was nicht darf.

In der Folge wird alles durchgedrückt, was sich bedenkenlos umsetzen lassen kann, meistens Krieg gegen die eigene Bevölkerung, in ausgewählten Fällen trifft es den Irak oder Afghanistan. Sei es die Neuverschuldung, die jeglichen Rahmen sprengt und das vorherige Wahlkampfgetön Lügen straft, sei es die widerrechtliche Rettung von Banken, mit dem Universaljoker lässt sich jede noch so miese Partie spielend gewinnen, und es zählt ja das, was hinten rauskommt. Für eine längst aus den Tiefen der Verhältnisse abgehobene Regierung, die auch mit erheblichem Schwangerschaftssuff nicht mehr zu erklären ist, bietet sich eine billige Ausflucht: wo man hilflos rudert und der Wirklichkeit ohnmächtig auszuweichen versucht, da ist ein Verwaltungsstil ohne sichtbare Rechtfertigung der schmerzfreiere Weg, wenngleich nicht für alle Beteiligten.

Interessant, dass es immer der populistische Bodensatz ist, der ja doch wohl mal gesagt haben will, dass es keine Denkverbote geben dürfe – das dogmatische Personal der betonierten Borniertheit beschwört einen Sturm herauf, wo es nicht einmal ein Wasserglas gibt. Es ist letztlich dieselbe Taktik, die das Kompott der durchgedrückten Meinung gegen jegliche Kritik immunisiert, und seien es höhere ethische oder staatsrechtliche Bedenken, die aber – siehe Rezept – nicht einmal gedacht werden dürften. Die Alternativlosigkeit ist stets höher zu bewerten, denn sie ist ja alternativlos, und Alternativlosigkeit ist stets höher zu bewerten.

Angesichts der logischen Basis, dass das Alternativlose stets nur ohne die Wahlmöglichkeit existieren kann, treibt einem die merkeleske Verschwiemelungsendstufe von der alternativlosen Entscheidung den Chymus aus den Gehörgängen. Eine Entscheidung, die natürlich keiner Entscheidung bedarf, da es nichts zu entscheiden gibt, so dass es keine Diskussion gibt, da ja alles schon entschieden ist – aus dem Stoff basteln sich die Milchmädchen ontologische Gottesbeweise, die präexistierend im Raume dümpeln. So treffen sich theologische und totalitäre Konzepte, wo sie nicht ohnehin schon deckungsgleich wären, und erzeugen einen absolutistischen Heiligenschein um die politische Klasse, die gleißende Warnbeleuchtung, falls sich jemand mit der blakenden Fackel der Vernunft nähern sollte: Obacht, Feind, dieses Ding namens Aufklärung gilt hier nicht! Hier wird nicht argumentiert, hier wird geglaubt!

Einen Haken hat die merkelsche Staatsidee vom Gefolge der Gottesanbeterin. Sie resultiert auf dem Fehler der klerikalhistrionischen Faltenfratze, sich selbst absolut zu setzen. Jene Plattenbaurhetorik ist bloß ein weiterer durchsichtiger Versuch, die diskursive Grundlage der Demokratie ersatzlos zu ersetzen. Nicht, dass ihr die Do-it-yourself-Heiligsprechung gelänge. Es gibt einfach noch zu viel Alternative.





Bilanz

19 09 2013

„Die beste Bundesregierung seit…“ „… die Medikamentenausgabe kostenlos wurde.“ „Ich weiß ja auch, dass das Kokolores ist, aber was soll man denn da schreiben?“ „Ich weiß es doch auch nicht!“ „Weshalb fragen Sie dann mich?“ „Keine Ahnung. Vielleicht irren Sie sich ja genauer.“

„Die beste Regierung seit der Energiewende?“ „Wieso: seit?“ „Ja, und wieso: Energiewende?“ „Ich dachte, wegen der Einheit.“ „Weil das ein nationales Projekt war?“ „Eher, weil die auch als unvollendet dargestellt wird.“ „Aber doch eher von außen.“ „Meinen Sie, jemand würde diese Regierung von innen als gelungen bezeichnen?“ „Stimmt, aber was ist mit der Sicht von außen?“ „Das ist die Sicht von Visionen.“ „Ich verstehe. Sie waren beim Arzt.“

„Die Regierung, die zwei Bundespräsidenten überlebt hat?“ „Das klingt etwas zu robust.“ „Stimmt, als Bombenleger überlebt man seine Opfer auch. Wie wäre es mit: die Bundesregierung, die zweimal versehentlich den Präsidenten…“ „Sie können doch den Vorsatz nicht ausschließen.“ „Dass Köhler absichtlich die Wahrheit gesagt hat?“ „Ist denkbar, und dass dieser Präsident gerade die Kanzlerin ins offene Messer laufen lässt, ist wenigstens denkbar.“ „Und Wulff?“ „Ein Betriebsunfall passiert der besten Regierung.“

„Die beste Regierung für den Datenschutz.“ „Das macht Sinn. Es ist ja bis heute nicht bekannt, was in den beiden Datensätzen von Pofalla eigentlich war.“ „Und ich dachte, sie hatten im letzten Augenblick noch das Meldegesetz etwas freundlicher für die Wirtschaft gestaltet.“ „Stimmt. Es war doch bestimmt eine ähnliche Erfolgsbilanz bei der Korruption.“ „Sie meinen: für die Korruption.“ „Bleiben Sie mal auf dem Teppich.“ „Gerne, der Staat liefert ja, wenn er kann.“ „Das ist die beste Regierung, die die Daten ihrer Regierungsmitglieder schützt.“ „Und in punkto Transparenz?“ „Dann ist das eben die beste Regierung, die die Daten ihrer Untertanen transparent macht.“

„Trotzdem, mir fehlt hier irgendwo der Überbau. Die Philosophie. Die große Linie, wenn Sie verstehen.“ „Also die Politik?“ „Ich kam nicht auf das Wort. Das fällt einem aber auch nie ein, wenn man gerade an Merkel denkt.“ „Naja, die große Linie ist eben, dass es keine große Linie gibt.“ „Keine große Linie bei der Energiewende?“ „Eher eine, die sich der öffentlichen Meinung anpasst.“ „Wenn es sich nicht mehr verhindern lässt, dann ist Merkel auch schon mal für ihre eigene Meinung.“ „Und sonst zeigt sie erhebliche Kreativität, sich gegen sich selbst zu verteidigen.“ „Sie reden hier gerade über den Atomausstieg?“ „Ich hatte eher die Wehrpflicht im Auge, aber meinetwegen.“ „Gut, ich hatte schon gedacht, wir diskutieren über den Mindestlohn.“ „Das sind die großen Erfolge dieser Regierung. Die sind ihr passiert, während sie so getan haben, als würden sie auf irgendwelchen anderen Sachen herumregieren.“

„Die beste Bundesregierung, seit es Personalprobleme gibt.“ „Stimmt auch nur so halb. Es waren ja nicht mal alle promoviert.“ „Oder als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt.“ „Dafür war die Bundesfamilienministerin…“ „Es gab eine Familienministerin?“ „Unbestätigte Gerüchte. Indizien wie die Herdprämie legen den Schluss nah.“ „Gut, und sonst?“ „Das Ministerium für Verbraucherschutz ist noch da.“ „Das liegt auch nur an der Ministerin.“ „Sie hat den Zehn-Punkte-Plan für die Auflösung des Ladens halt etwas nachlässig diktiert.“ „Oder es war Gammelfleisch im Spiel.“ „Auch möglich.“

„Wir hatten also eine Bundesregierung, die einer hervorragenden Wirtschaft zugesehen hat, während der Sozialabbau sich beschleunigt hat durch das ständig beschleunigte Wachstum.“ „Und eine Bundesregierung, die ständig gejammert hat, dass die Krise, die ja längst überwunden ist, nochmals harte Sparmaßnahmen fordern würde.“ „Und eine Innenpolitik, der man ständig das Grundgesetz ins Genick hauen musste.“ „Und eine Außenpolitik, die – ach, vergessen Sie’s einfach.“

„War das jetzt der Herbst der Entscheidungen?“ „Sagen Sie es mir.“ „Dann war diese Steuersenkung am Ende gar nicht geplant.“ „Sagen Sie es mir.“ „Oder ein Zeichen des mitfühlenden Liberalismus.“ „Bestimmt wie Qualzuchtverbot, Reglementierung von Tierversuchen, Betäubungsvorschriften für Schlachttiere, EU-konforme Kennzeichnungspflicht für Eier, Milch und Fleisch.“ „Erstmal musste diese unglaublich hohe Mehrwertsteuer fürs Hotelfrühstück gesenkt werden.“ „Was hat diese Bundesregierung überhaupt auf die Kette gebracht? Fällt Ihnen spontan irgendwas ein?“ „Außer mehr Waffenhandel und Privatisierung von Wasser und Energie?“ „Muss man den Armutsbericht komplett auseinandernehmen oder reicht es, wenn man ihn als Ganzes zitiert?“ „Die Entwicklungshilfe wurde nicht angewickelt?“ „Es gab keinen Tsunami?“ „Abgeordnetenbestechung ist immer noch legal?“ „Eine Kanzlerin, die auf Sicht an die Wand fährt?“ „Das Brandenburger Tor steht noch.“ „Wie?“ „Das Brandenburger Tor steht noch.“ „Echt?“ „Ernsthaft.“ „Das hätte ich jetzt nicht erwartet.“ „Deshalb ist das auch die beste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung.“





Letzte Rettung

16 09 2013

„Die FDP? Wer braucht denn die noch? Und vor allem, wozu?“ „Jeder braucht die.“ „Aber wozu?“ „Ja, weil – irgendwie sind die doch nicht mehr wegzudenken.“ „Dann denken Sie halt noch mal genauer.“

„Würde Ihnen ohne die FDP nicht etwas fehlen?“ „Könnten Sie sich ein Leben ohne Krebs vorstellen?“ „Das ist aber nicht ganz dasselbe.“ „Das stimmt, Krebs kriegt man weg.“ „Bleiben Sie doch mal sachlich!“ „Wer hat denn mit dem Mist angefangen?“ „Fakt ist doch, ohne Freidemokraten ist Politik in Deutschland in ihrer ganzen Bandbreite gar nicht denkbar.“ „Das können Sie über Neonazis aus sagen.“ „Wollen Sie die etwa als politische Bewegung bezeichnen?“ „Wollen Sie das etwa bei der FDP versuchen?“ „Das sind doch nichts als verbohrte Radikale!“ „Stimmt.“ „Eben, und deshalb… Moment mal!“ „Radikal ist radikal, ob mit marktkonformer Demokratie oder ohne.“ „Sie maßen sich hier an zu bestimmen, was Demokratie ist?“ „Stimmt, mein Fehler. Das darf ja sonst nur die FDP.“

„Nein, wirklich – ohne FDP ist doch alles völlig sinnlos.“ „Sie meinen, der Comedy-Anteil in der deutschen Politik wäre plötzlich unangenehm niedrig?“ „Also bitte!“ „Naja, dafür wäre das Niveau vielleicht streckenweise höher.“ „Ich würde an Ihrer Stelle…“ „Und man könnte sich einen Teppich liefern lassen.“ „… mal mein Radar einschalten.“ „Weil Sie sonst die geistig-politische Wende nicht hinkriegen?“ „Wer hat hier etwas von ‚geistig‘ gesagt?“ „Das frage ich mich auch.“ „Machen Sie sich mal klar, wofür die FDP steht.“ „Sie fällt eher, genauer: sie lässt sich taktisch fallen. Die Schwalbenkönigin des Parlamentarismus.“ „Gutes Stichwort. Sehr gut!“ „Schwalbe?“ „Parlamentarismus. Machen Sie sich klar, wofür die FDP steht.“ „Dass sie für den Parlamentarismus steht, war mir bekannt. Um in dieser Partei Karriere zu machen, muss man schon Zivilversager sein.“ „Nein, nicht so. Im Parlamentarismus.“ „Da steht sie für etwas? Donnerwetter! Das scheint sich ja um eins der am besten gehüteten Geheimnisse der neueren politischen Geschichte zu handeln – das hat bisher nicht einmal die NSA rausgekriegt!“ „Also bitte, werden Sie jetzt nicht albern! Ich meine doch die Orientierung, die – also für den Liberalismus steht die doch!“ „Ich gebe zu, das muss ein noch größeres Geheimnis gewesen sein.“ „Es ist wegen der…“ „Wegen der Orientierung, ja. Dann ist die FDS in punkto Liberalismus so etwas wie ein Kompass, der beständig nach Süden zeigt. Auch schön, damit verirrt man sich ja garantiert nicht.“

„Sie sehen dann ein, dass wir die FDP zwingend für die Politik brauchen?“ „In der Regierung?“ „Auch, aber sie haben ebenfalls sehr erfolgreiche Oppositionspolitik gemacht.“ „Stimmt, und das Beste daran ist, sie haben in der Regierung mit der Oppositionspolitik gar nicht mehr aufgehört.“ „Wozu das denn?“ „Was fragen Sie mich? Weil Westerwelle nur die eine Platte hat? oder weil er wusste, dass er nach vier Jahren als Abluftspender für den Rest seines Lebens in der Versenkung verschwinden würde?“ „Die FDP ist ja wohl nicht nur Westerwelle.“ „Das ist doch schnurz, welchen Brüllaffen die aufs Podest stellen.“ „Sehen Sie? das ist Liberalismus!“ „Meinen Sie?“ „Aber ja doch! Chancengleichheit!“ „Naja, vielleicht haben Sie wirklich recht. Chatzimarkakis und Koch-Mehrin hatten tatsächlich die gleiche Chance, sich zu blamieren.“

„Hören Sie, ich kann das durchaus verstehen, dass Sie dieser Partei kritisch gegenüberstehen.“ „Ach.“ „Und sich nicht mit billigen Argumenten abspeisen lassen wollen.“ „Ach?“ „Und nicht mehr so richtig daran glauben, dass die sozialliberale Idee in einer bürgerlichen Koalition am besten zum Tragen kommt.“ „Ach!“ „Wir müssen alle Opfer bringen, und da ist es doch gut, wenn einer sagt, wo es langgeht, oder?“ „Genau, die einen werden geopfert, die anderen nehmen es an. So war das doch wohl gemeint?“ „Schauen Sie doch mal über Ihren Tellerrand! Wir erleben in diesen Tagen die Notwendigkeit der Staatskunst!“ „Staat? Ist Staat zu machen mit einer Partei, die ihn abschaffen will? oder zum Selbstbedienungsladen machen?“ „Es geht hier doch nicht um Belange der Wirtschaft, sondern…“ „Das hatte ich anfangs auch geglaubt.“ „… um die Liberalisierung der…“ „Der Staatskunst? Das einzige, was diese Truppe zur Kunstform erhoben hat, war Korruption. Und ich gebe Ihnen recht, auch da ist ein geistig-moralischer Kompass durchaus vorhanden. Eine stetige Erinnerung daran, dass wir diesen Haufen nicht brauchen.“

„Ich gebe auf. Sie haben gewonnen.“ „Was?“ „Sie haben gewonnen, es hat doch keinen Zweck mehr, Ihnen das beibringen zu wollen.“ „Mensch, da bringen Sie mich auf eine Idee. Natürlich! Ja klar, Gewinnen – natürlich brauchen wir die FDP! Die ist die letzte Rettung für Deutschland!“ „Ist Ihnen nicht gut?“ „Es ging mir nie besser, ich würde sogar sagen: ich könnte mir jetzt sogar vorstellen, taktisch FDP zu wählen.“ „Haben Sie noch alle Tassen im Schrank!?“ „Na klar, irgendwo müssen wir mit der Zweitstimme doch hin. Ich wähle Zweitstimme FDP.“ „Aber das ist doch total unsinnig, warum machen Sie so etwas?“ „Wenn wieder zehn Prozent FDP wählen, dann reicht’s diesmal.“ „Reichen? wofür reichen?“ „Na, für die Große Koalition.“





Kriechspiele

9 09 2013

„Sehr schön. Runter mit dem Kopf. Ganz runter. Tiefer. Noch tiefer. Noch tiefer. Sehr schön. Und jetzt ganz langsam zur Seite kippen. Hervorragend. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Herr Westerwelle.

Wir machen dieses Yoga ja schon länger. Seit vier Jahren. Inzwischen geht’s auch ganz gut. Er hat seine Lektion gelernt und setzt sie konsequent um. Schauen Sie sich mal sein Syrisches Kamel an. Wie aus dem Bilderbuch. Er kann inzwischen aus jeder, ich wiederhole: aus absolut jeder Position umfallen. Wirklich perfekt. Und sehr zuverlässig.

Kinn am Boden lassen. Jetzt den Hintern anheben und dabei das Rückgrat ganz durchbiegen, Herr Westerwelle. Weiter. Weiter. Noch weiter. Ganz durchbiegen. Sehr schön. Die Starke Antwort können Sie, Herr Westerwelle. Hat zwar etwas gedauert, aber das lag ja nicht daran, dass Sie es nicht wollten, oder? Mutti hat’s Ihnen erst jetzt erlaubt. Und noch tiefer runter. Und noch tiefer. Sehr schön. Mutti kann stolz sein auf Sie.

Wir hatten ja so unsere Anfangsschwierigkeiten. Er wollte immer seine eigenen Übungen machen. Den Hysterischen Höckerschwan. Den Berliner Brüllaffen. Richtig, es sah albern aus. Und es führte auch zu nichts. Vernünftiges Yoga verleiht Kraft und hat nachweislich positive Effekte auf die psychische Gesundheit. Wie gesagt, wenn man es auch vernünftig macht. Aber er wollte halt nicht besonders effektiv sein, es sollte nur jeder staunen, dass er sich so toll verrenken kann. Ich weiß auch nicht, woher er das hat.

Man ist ja großem Druck ausgesetzt. Das muss man dann auch irgendwie kompensieren. Manche würden jetzt spezielle Atemübungen ausführen oder Baum-Yoga – aber in dem Kurs waren ein paar Grüne, und das wollte er nicht. So Übungen mit Energieaustausch. Wollte er einfach nicht. Und dann der Kurs für Kleinkinder. Da ist ihm Rösler immer über den Weg gelaufen, den hätte ich auch nicht mitgemacht. Also haben wir uns für eine ganz individuelle Methode entschlossen. Kriech-Yoga. Es kommt seiner natürlichen Körperhaltung sehr entgegen, wir riskieren weniger Verletzungen beim Aufwärmen, und die Ergebnisse können sich sehen lassen.

Sehr schön. Jetzt die Hände ganz fest an den Leib und langsam weiterbewegen. Immer hier an der Markierung auf dem Boden entlang. Stellen Sie sich vor, dass das die Fünf-Prozent-Hürde ist, Herr Westerwelle. Sehr schön machen Sie das. Sehr schön. Sehr gut. Lieber Aal liegt Ihnen.

Außerdem spart das Kräfte. Beim Power-Yoga, da muss man richtig arbeiten. Haben Sie schon mal einen von der FDP arbeiten sehen? Eben. Dann kann ich meine Bude hier zumachen. Bekenntnis zur Wertegemeinschaft, Souveränität, Grundgesetz für Anfänger, Basteln mit Speckstein, können Sie alles an der Volkshochschule buchen. Wir haben uns halt auf andere Sachen spezialisiert und fahren ganz gut damit.

Da darf man jetzt aber nicht mit Taijiquan verwechseln. Das ist erstens chinesisch und zweitens ist es Kampfkunst. Und mit allen drei Sachen hat das hier nichts zu tun.

Den Herrn de Maizière hatte ich neulich mal. Probehalber. Es blieb aber dabei. Ich hatte das Gefühl, er würde das hier nicht ernst nehmen. Er hatte irgendwas von Kriechspielen gehört, aber da muss er wohl etwas verwechselt haben. Fliehender Falke. Nie gehört.

Gruppenunterricht? Wäre irgendwie schwierig. Nicht wegen des Platzbedarfs, aber stellen Sie sich mal vor, das ganze Kabinett würde bei mir auf der Matte stehen. Alle machen dasselbe, Mutti macht’s nach, und dann sagt sie plötzlich, sie hätte es erfunden. Meuternder Mautesel. Kopfwackeldackel. Das geht doch so nicht.

Und die Knie zusammen. Sehr schön, Herr Westerwelle. Ganz zusammen. Und krümmen. Krümmen, habe ich gesagt. Sehr schön, diese Blindschleiche. Ich könnte mir keine bessere Übung für Sie vorstellen, Herr Westerwelle.

Wir wissen natürlich noch nicht, wofür es überhaupt gut ist. Bisher hat er sich nur gerne in Bodennähe bewegt, weil er sich dann nicht immer auf sein intellektuelles Niveau herabbegeben musste. Aber wenn es jetzt auf die Schnelle etwas Größeres zu tun gibt, Robben im Dreck, Wüste oder Stacheldraht, dann muss man vorbereitet sein. Da sind Fähnchen im Wind und Größenwahnsinniger Gockel nicht so gefragt. Da braucht es Kriechtiere. Zünglein an der Waage. Winselnder Wurm. Man wird dadurch so schön flexibel. Da kann man auch mal Sachen mitturnen, die man nicht begreift. Oder Standhaftigkeit hinter dem Rücken der Amerikaner demonstrieren. Bis einer aus Versehen den Ventilator anschaltet.

Sehr schön, Herr Westerwelle. Fein gemacht. Ich würde sogar sagen, Sie haben sich diesmal selbst übertroffen. Und gut, dass Ihnen das vor der Wahl passiert ist. Jetzt brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, dass Sie hinterher keine Zeit mehr für solche Übungen haben.“