Schüttelfrust

7 06 2010

„Das passt jetzt.“ Schnöfler pfriemelte noch etwas an dem Knopf in meinem Ohr herum. „Wenn das Ding drückt, haben Sie ja immer noch den Vibrator für die Jacke.“ Damit reichte er mir das Kästchen, schmal wie eine Zigarettenschachtel. „Es dürfte drei bis vier Tage reichen mit der Batterie. Und ich habe Sie gewarnt: bringen Sie sich nicht in Gefahr!“ Ich verstaute das Gerät in meiner Anzugtasche.

Bei Trends & Friends herrschte gerade Hochbetrieb. Minnichkeit begrüßte mich flüchtig. „Sie sind wegen dieser Radiosache hier? Dann müsste Frau Schwidarski Bescheid wissen, sie kommt bestimmt gleich herunter.“ Ein paar Marktforscher rannten einige Unternehmensberater über den Haufen. Irgendwo piepste ein mobiles Endgerät. „Bedaure“, sagte Minnichkeit, „die Chefin ist momentan leider nicht im Hause.“ In meiner Jackentasche surrte es. So war das also. Die kleinste Abweichung von der Wahrheit, und schon vibrierte der Ehrlichkeitsseismograf. Bei dieser Erschütterung schien es sich aber um eine Notlüge zu handeln. „Das ist für uns gar kein Problem.“ Der pulsierende Lärm wurde zusehends aufdringlicher. „Nein, im Gegenteil – wir freuen uns darauf!“ Das Ding ratterte. Minnichkeit log gerade wie gedruckt.

„Hi there!“ Maxim, der Reiseleiter, tänzelte um die Ecke. Wie stets trug er einen weißen Anzug, die vergoldete Sonnenbrille lässig ins blondierte Haar geschoben, die Füße in kostbarem italienischem Schuhwerk. „Man kann ja dieses Jahr nur nach Ligurien“, schwafelte er fast empört, „das ist fast so vulgär wie die ganzen Studienräte in der Toskana.“ Ich war verwirrt. „Aber wenn Ligurien nicht mehr angesagt ist, warum fahren Sie dann hin?“ Er winkte ab. „Ach nein, ich meine natürlich Apulien. Das geht ja gar nicht mehr. Völlig überzogen, das wird vielleicht 2015 wieder aktuell. Fahre diesen Sommer nach Brindisi.“ „Das ist doch in Apulien“, korrigierte ich. Maxim nickte. „Natürlich ist das in Apulien. Deshalb fahre ich da doch auch hin. Weil, wenn das 2015 wieder hip wird, kann man da wieder hinfahren, und wenn ich schon hinfahre, wenn es noch nicht wieder hip ist, dann kennen sie mich da schon, wenn ich da hinfahre. Also, wenn es dann wieder hip ist. Verstehen Sie?“ Ich verstand, und ich musste einen Augenblick zu lange auf seine Schuhe geblickt haben. „Hübsch, nicht wahr? Ein Modell von Gianfranco Rinaldini.“ Es sirrte leise. „Die kriegen Sie nur im Store in Mailand.“ Es summte lauter. „Natürlich müssen Sie für so eine limitierte Serie aus feinstem Kalbsleder… sagen Sie mal, haben Sie einen Schlagbohrer in der Tasche?“

Im Fahrstuhl traf ich auf Ernst Pröppelhusen, den inzwischen beförderten Programmdirektor. Sieben neue Folgen für seine preisgekrönte Sendereihe Kochen wie die Azteken hatte ich ihm vor einigen Wochen zukommen lassen. „Großartig“, schwärmte Pröppelhusen, „ich bin ja vollkommen begeistert von Ihrer Schreibe!“ Es schnurrte sich bereits warm unter meinem Anzug. „Natürlich habe ich das Manuskript gleich studiert und äh… was ist denn das für ein Lärm? Egal. Also alles gleich ganz genau gelesen … sagen Sie mal, können Sie das nicht abstellen?“ Ich war irritiert. Umso mehr, als dass der Mechanismus heftig zu flimmern einsetzte, als Pröppelhusen mir versicherte, er wolle mir künftig noch viel häufiger Aufträge für Fernsehserien zukommen lassen. Was sollte ich denn jetzt glauben? Diese Maschine erzeugte bei mir einen Anfall von Schüttelfrust.

Immerhin lotste mich der Apparat sicher durch die Versuchungen der Stadt. Bei der Versicherung des Gemüsehändlers, es handele sich auch ganz bestimmt um hiesigen Spargel, knurrte der Kasten leise. Die Ausführungen des Geflügelzüchters wurden von penetrantem Moskito-Sound untermalt, der um so bedrohlicher anschwoll, je näher der Hühnermann den Freilandeiern kam. Am Bioobst musste ich sogar nur in zehn Meter Abstand vorbeilaufen, damit der Apparillo sein sonores Geräusch in meinem Jackett verbreitete. Erst an der Bratwurstbude hatte der Spuk vorübergehend ein Ende. Fröhlich winkte der dicke Mann mit der herüber und wendete brutzelnde Schinkengriller auf dem Rost. Wahrscheinlich wusste jeder längst, was Sache war.

Hildegard war nur wenige Minuten vor mir nach Hause gekommen. Sie sah erschöpft aus. „Ein furchtbarer Tag“, jammerte sie. „Gut, dass ich zu Hause bin. Heute werde ich unter Garantie keinen Handschlag mehr tun!“ Ich stellte die Einkäufe auf den Küchentisch und setzte Teewasser auf, bevor ich das Fenster öffnete; mild strömte die warme Luft eines Frühsommerabends hinein. Als ich das Wohnzimmer betrat, fiel mir auf, dass Schnöflers Detektor sich immer noch in meiner Jackentasche befand. Ich zog ihn hervor. Intensiv betrachtete ich das kleine, schwarze Kästchen mit der kleinen Vertiefung auf der Unterseite, das fast aussah wie die Fernbedienung des Fernseher, die auf dem Couchtisch lag, denn Hildegard legt sie nach dem Einschalten meist dorthin. Die Kanzlerin schritt ins Bild, ließ ihre Mundwinkel sinken und begann: „Liebe Bundesbürgerinnen, liebe Bundesbürger.“

Doktor Klengel betrachtete sorgfältig den Verband um meinen Kopf und schloss sein Erste-Hilfe-Köfferchen. „Die Schmerztabletten sollten gleich wirken“, teilte der Hausarzt Hildegard mit. „Einmal pro Stunde den Eisbeutel neu füllen. Und natürlich Ruhe, strengste Ruhe! Er hatte ja wirklich Glück, dass er aufs Sofa geflogen ist und nicht ins Bücherregal – schauen Sie, er zittert ja noch am ganzen Körper!“