Immergrün

2 06 2010

„Der Balkon“, sprach Hildegard und setzte die Kaffeetasse fest auf den Tisch, „kann so jedenfalls nicht bleiben!“ Ich schluckte heftig an meinem Quarkbrötchen; es war wohl die entscheidende Sekunde zu lang, denn sofort, als ich die Hand hob, fiel sie mir ins Wort. „Keine Widerrede!“ Verzweifelt versuchte ich es nochmals, doch ohne Erfolg. „Alle haben Blumen auf dem Balkon, bei allen blühen Geranien und Strauchmargeriten, nur Du hast diese widerlichen Pötte mit dem Gras – das wird sich ändern.“ Den Einwand, dass es sich um meinen Balkon handelt ließ sie nicht gelten. „Du kümmerst Dich doch auch sonst um gar nichts hier. Wenn ich nicht wäre!“ Wäre sie nicht, gab ich lakonisch zur Antwort, hätte ich am Abend zuvor die Petersilie für die Kartoffeln alleine aus dem Kräutergarten zupfen und verzehren können. Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und wer hat letztes Wochenende meine Schuhe nicht vom Besohlen abgeholt?“ Da hatte sie Recht; ungeachtet des Umstandes, dass Hildegard den Bon aus irgendeinem Grund wieder aus meinem Portemonnaie herausgenommen hatte – vermutlich hatte sie erst die Quersumme der Bonnummer ausrechnen müssen – so dass mich der Schumacher mit einem Schulterzucken entließ, war ich dann tatsächlich mit leeren Händen zurückgekehrt.

„Impatiens wird ja gerne genommen“, teilte der Verkäufer mir mit. „Fleißige Lieschen sind auf Ihrem Balkon eine Zierde, Sie werden sie schnell ins Herz schließen.“ „Die sind etwas empfindlich gegen Staunässe, nicht wahr?“ Er nickte. „Sie sollten die Bewässerung schon einigermaßen im Zaum halten. Am besten irgendwo im Halbschatten oder sogar in einer Nordecke, die Impatiens ist eine genügsame Pflanze und blüht auch recht ergiebig.“ Hildegard drehte sich um. „Lassen Sie’s“, mischte sie sich ein. „Das kapiert er sowieso nicht.“ „Aber entschuldig mal“, begehrte ich auf, „Du hast doch selbst gesagt, ich solle ein paar Pflanzen auf meinen Balkon stellen.“ „Es war nicht die Rede von einer botanischen Aufzuchtstation“, warf sie mir mit schneidendem Unterton entgegen, bevor sie sich wieder an den Verkäufer wandte: „Geben Sie ihm irgendwas, das sich nicht kaputtkriegen lässt. Einmal am Tag gießen und fertig. Und nächstes Jahr kaufen wir es wieder neu.“

Der Verkäufer war verschnupft; verständlich, hatte er doch sein ganzes Fachwissen über Zimmer- und Garten- und Balkonpflanzen sorgsam vor mir ausgebreitet. „Wir hätten da die Wandelröschen“, begann er aufs Neue. „Sehr schön farbenprächtig, und wenn Sie ganz normal gießen und einfach irgendwohin stellen“ – hier schielte er bereits zu Hildegard hinüber – „dankt sie es Ihnen mit einer entzückenden Wuchsform. Sie müssen nur mit dem Wasser aufpassen, am besten lassen Sie es einfach abstehen, Gießkannenwasser hat einen Kalkgehalt von ungefähr…“ „Gießkanne?“ Hildegard tippte sich an die Stirn. „Glauben Sie bloß nicht, dass er das schafft. Geistig, Sie verstehen. Alles, was eine sorgfältige Planung…“ Jetzt wurde es mir zu bunt. „Was heißt hier sorgfältige Planung? Ich gieße sie jeden Abend mit dem angestandenen Wasser aus der Kanne und fülle danach die Kanne wieder nach. Wo ist hier bitte das Problem?“ „Du hast auch die Alpenveilchen von Tante Paula vernichtet, jawohl: vernichtet! Alle beide! Die alte Dame ist nie darüber hinweggekommen, nie!“ Natürlich waren die beiden Pflanzen der sechswöchigen Kreuzfahrt nicht gewachsen gewesen, ausgetrocknet waren sie, in ihren Töpfchen schmählich verendet, weil sie keinen Tropfen Wasser bekommen hatten. Was aber auch daran lag, dass ich Order hatte, nur das knappe Dutzend Pflanzen auf dem kleinen Tischchen in der Vorhalle zu gießen und ja kein anderes Zimmer zu betreten, nicht einmal bei Feuer, Wasser oder Dieben. Woher hätte ich wissen sollen, dass da zwei Cyclamen im Obergeschoss vor sich hin welkten.

„Stohblumen sind doch vielleicht etwas“, brachte sich der Florist in Erinnerung. „Das hier ist Helichrysum italicum, wenn Sie mal schnuppern wollen?“ Es hatte ein leichtes und würziges Aroma. „Curry-Kraut“, rief ich erfreut aus, „das habe ich seit Jahren gesucht! Das schneidet man doch wie Lavendel herunter, richtig? Und dann kann man es wie den Rosmarin im Mauerschatten überwintern lassen? Sehr gut! Davon nehme ich auf jeden Fall eins, und die Buschmalve dahinten, kann man die mit gehäufeltem Laub abdecken bei Frosteinbruch? Das wäre doch die ideale Ergänzung – was sagst Du, diese blauvioletten Blüten sind doch bildschön, findest Du nicht auch?“ Doch Hildegard winkte nur ab. „Vergessen Sie’s“, sagte sie dem Verkäufer. „Er erzählt Ihnen viel, wenn der Tag lang ist. Und dann kann ich die ganzen Reste aus den Balkonkästen zupfen, er lernt es ja nicht mehr.“ „Das ist ja gar nicht wahr“, ereiferte ich mich. „Die Kräuter habe ich seit zehn Jahren, und sie sind mir nicht ein einziges Mal eingegangen!“ „Kräuter“, schnob sie durch die Nase. „Das bisschen Petersilie und Majoran nennt der Mann Kräuter! Dieses alte Zeugs, das da seit Monaten und Jahren in den Tontöpfen ist – pfui, so was kauft man sich doch frisch im Supermarkt!“

„Immergrün“, bestätigte der Blumenmann, „sie sind so gut wie gar nicht kaputt zu kriegen. Die gießen Sie einmal am Tag oder in der Woche oder… naja, wo Sie wollen. Und die sind winterhart und sprossen nicht und keimen nicht und nichts und… wirklich, sehr pflegeleicht.“ Ich zog ein Gesicht hinter Hildegards Rücken. Hoffentlich klappte das. Sie äugte noch ein bisschen kritisch und nickte dann gnädig. „Dann nimm die hier. Hübsch sind sie ja gerade nicht, aber wenn Du sie auch anständig gießt und nicht zu eng in die Kästen pflanzt, dann siehst das ja unter Umständen einigermaßen zivilisiert bei Dir aus.“ Er schlug die Pflänzchen in Packpapier ein. An der Kasse gab er mir noch ein paar Tipps zum Gießen samt einer Probepackung Düngerstreifen. Meine Begleiterin blickte gnädig darüber hinweg, und auch ich nahm es kaum zur Kenntnis. Was sollten diese Dinger auch groß anrichten – in einer Plastikpflanze?