Ho-Ho-Hooo!

20 12 2010

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hören Sie, wie es von drauß’, vom Walde herkommt? Da knirscht die Kufe durch den Schnee, die Rentiere legen sich in die Kurve und auf dem Schlitten schottert das Ho-Ho-Holzspielzeug hin und her. Es will wieder einmal Weihnachten werden in unserem Lande, das Fest der wirr blinkenden Photonenabsonderungsgeräte (Sternform), des säuerlich die Luft verpestenden Tetrapak-Punschs und der schrill jede besinnliche Stille zerfetzenden Plastikweihnachtslieder steht vor der Tür. Wer jetzt allein ist, wird es mit etwas Glück für ein paar Tage bleiben.

Bunte Päckchen liegen unter der Tanne. Gold und Flitter spiegeln sich in blinkenden Kugeln, das feine Papier knistert, als wispere es in die leise Nacht, was sich in den Schachteln verberge – lauter schöne Sachen, unsereins hat ja auch so seine Kanäle. Wollen wir schon einmal nachsehen? einen kleinen Blick riskieren, was uns das nächste Jahr bringen mag? Dann schauen wir doch mal, was da auf uns zukommt. Das ist 2011…

Ganz überraschend beginnt das Jahr diesmal im Januar, einem Wintermonat, der auch mehrfach die im Zehnjahresplan vorgesehenen 30 °C nicht erreicht. Bahnchef Grube zieht sofort Konsequenzen und kündigt an, zur Gewinnung von Streugut die obersten Erdschichten von Stuttgart abzutragen. Heiner Geißler bietet ungefragt seine Dienste als Schlichter an: weder der Fernsehturm noch die Neue Staatsgalerie wird abgerissen, dafür erklärt sich Ministerpräsident Mappus bereit, für die Wetterumschwünge nicht mehr die Grünen verantwortlich zu machen.

Der Februar ist wie immer der kürzeste Monat – entsprechend beschränkt ist dieser Tage auch das Angebot aus Berlin. Eine ganz neue Sichtweise zur Sicherheitspolitik liefert de Maizière, der Demonstrationen als niederschwellige Vorstufe zum Terrorismus qualifiziert. Die dazu passende Einschränkung von Artikel 8 GG ringt die Bundesregierung der SPD nur ab, da im Gegenzug die Berechnungsgrundlage für Hartz IV auf das unterste Quintil der Obdachlosen beschränkt bleibt. Gut, dass man sich nicht auch noch über einen Mindestlohn unterhalten muss.

Im März wählt Deutschland. Nach einem kleinen Lapsus in Sachsen-Anhalt – die CDU wird nur zweitstärkste Kraft – und einer empfindlichen Schlappe in Rheinland-Pfalz – die CDU wird nur zweitstärkste Kraft – kommt die großartige Nachricht, dass die CDU knapp stärkste Kraft in Baden-Württemberg wird, nicht wirklich gut an. Ministerpräsident Mappus beansprucht die Königswürde. Das ARD-Wahlstudio muss seine Live-Übertragung unterbrechen, da sich die Grafik beim Versuch, einen Einzelbalken für die FDP im Wert von 0,29 ‰ darzustellen, aufhängt. Ob dies auch die Empfehlung an den Bundesvorsitzenden der Liberalen ist, bleibt ungeklärt; Heiner Geißler nimmt unverzüglich die Vermittlungsarbeit auf.

Kein Scherz: der April beginnt damit, dass Arbeitslosenministerin von der Leyen die Ein-Euro-Jobs endgültig abschafft. Sie werden durch den Ein-Cent-Job ersetzt, den die deutsche Industrie flächendeckend anbietet: jeder Arbeitswillige hat pro Tag einen Cent zu entrichten, um das Exportwunder der Bundesrepublik mit der Aussicht auf eine Festanstellung ab dem dritten Jahr zu steigern. Wer nicht zahlt, erhält auch keine Transferleistungen mehr. Die Gewerkschaften laufen Sturm. In langen, zähen Verhandlungen erreicht der DGB, dass die gelben Sterne nicht mehr getragen werden müssen.

Alles neu macht der Mai, zumindest bei der FDP. Unter ohrenbetäubendem Jubel wird Guido Westerwelle mit 50 Prozent sowie einer Stimme Mehrheit wiedergewählt, nachdem er der Partei ein bahnbrechendes Konzept vorgestellt hat, das Freiheit und Demokratie auf lange Jahre sichert: Steuersenkungen für Besserverdienende. Der Große Vorsitzende teilt der Presse mit, er werde dabei von einem großartigen Team unterstützt; dies stellt sich im Nachhinein als bewusste Lüge heraus, gemeint waren Brüderle, Rösler, Niebel, Homburger, Lindner sowie eine türkische Künstlerin aus seinem Wahlkreis, an deren Namen er sich zwar nicht mehr erinnern kann, die aber behauptete, er sei ihr noch einen Gefallen schuldig, so dass er sie zur Generalsekretärin ernennt.

Im Juni ist Kassensturz: die Quartalszahlen des Einzelhandels sind vermutlich nicht so stark gestiegen, wie man es Weihnachten noch hätte erwarten können, die Binnenkonjunktur lahmt, zwei DAX-Unternehmen entlassen jeweils 15.000 Arbeitnehmer, die Steuerausfälle nehmen bedenkliche Formen an. Rainer Brüderle verkündet den XXXXXL-Aufschwung. Danach verschwindet er polternd unter den Tisch. Es wird ein guter Jahrgang. Was wohl Heiner Geißer dazu sagt?

Der Sommer beginnt im Juli mit einer tollen neuen Erkenntnis: Mineralwasser, das auf Grund nicht vorhandener Lagerkapazitäten nicht gelagert wird, ist nicht vorrätig. Studien ergeben, dass die seit 1996 erhobenen Zahlen keine messbare Schwankung zeigen. Erwartungsgemäß teilt der Vorsitzende des Produktionsverbandes mit, man sei noch nicht dazu gekommen, sich mit den Ergebnissen zu beschäftigen, andererseits seien sommerliche Temperaturen gerade im Sommer eine nicht vorhersehbare Situation, wie man sie nur mit den regelmäßig auftretenden Schneefällen in den Wintermonaten vergleichen könnte. Allein dieses fürchterliche Fatum rechtfertige einen deutlichen Preisanstieg – wie man es aus den vergangenen Jahren gewohnt sein dürfte.

Deutsche Kultur, im August nimmt man sie wahr, denn sonst ist nicht viel los. Angela Merkel sucht auf dem Grünen Hügel vergeblich nach einer Boxveranstaltung (sie hatte gelesen, die Festspiele seien heuer ringfrei), eine TV-Kochshow, die es vor Kurzem noch nicht gab, wird wegen Desinteresse eingestellt (sonst bleibt alles beim Alten und das ZDF gelobt feierlich, nur noch hirnlosen Dreck zu senden), Helene Hegemann arbeitet an einem Aphorismus (der Verlag betrachtet sie als Abschreibungsobjekt), und nur Frank Schirrmacher ist glücklich: er liest ein Buch von Alexander Mitscherlich und stellt fest, dass einmal nicht er der weinerlichste Nervzwerg auf diesem Planeten ist.

Mit Spannung erwartet die Medienöffentlichkeit den September – die Sendung Ohgottohgott, das ist alles so entsetzlich schlimm, wir werden alle fürchterlich sterben, wenn mein Mann nicht sofort und auf der Stelle Bundeskanzler ist! wird allerdings sofort gestoppt. Nicht, dass Heiner Geißer etwas dagegen gehabt hätte (er steckt noch im Stresstest, nachdem man ihn in Stuttgart verbuddelt hatte), nur war Günther Jauch nach einer Folge nicht mehr zur weiteren Zusammenarbeit zu bewegen. Es bleiben die Highlights, Reinhold Beckmann moderiert gemeinsam mit der Katzenberger und Richard David Precht den täglichen Sprengstoffanschlag aus dem Westjordanland, da Johannes B. Kerner seit der Live-Show über die Unruhen von Abidjan noch immer im Koma liegt.

Der Oktober ist da, Guido Westerwelle ist weg. Spurlos verschwunden, genau wie die FDP. Genau genommen war er schon seit Mai nicht mehr in Erscheinung getreten, die ausländische Presse lobte den neuen Geist in der deutschen Außenpolitik (bzw. die Tatsache, dass er sich erstmals seit zwei Jahren wieder blicken ließ). Doch erst, als der parteinahe Zeitschriftenverlag die Verlängerung der Abonnements von Der kleine Rechtspopulist und Korruption heute betreibt, fällt sein Fehlen auf. Westerwelle hinterlässt das Manuskript seiner Autobiografie Deutschland straft mich ab und geht in den Untergrund, um eine Spaßguerilla zu leiten.

Der November endet für Thomas Gottschalk mit einer Überraschung. Während er noch an der überarbeiteten Neufassung von Wetten dass…? feilt, reicht seine Frau die Scheidung ein. Sie möchte einen Mann, der altersmäßig zu ihr passt. Gerüchte, dass sie seit längerer Zeit eine Affäre mit Jopie Heesters unterhält, lassen sich nicht lange verbergen.

Besinnlich ist der Dezember und gar froh, abgesehen von Rekordzahlen an Arbeitslosen und Kindern, die in Armut aufwachsen und auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, und wenn man außer acht lässt, dass in Afghanistan dreizehn Bundeswehrangehörige fielen, kann man auch verdrängen, dass die Atomkonzerne den Strom um gut ein Drittel verteuern. Bundesaußenminister Pofalla feiert Weihnachten mit Regierungssprecher Mario Barth. Das Erste sendet eine Neujahrsansprache von Helmut Kohl. Keiner merkt es. Es ist Deutschland hier. Und nur Heiner Geißler hält endlich die Klappe.

Was das Private angeht – ich möchte nicht so viel verraten, ich habe da Diskretion versprochen. Herrn Breschke geht es so weit ganz gut; dieser schreckliche Tumor, der ihn einen ganzen Vormittag verzweifelt husten und keuchen ließ, weil Kümselkorn, der Versicherungsvertreter, ihn mit seinem ewigen Passivrauchen angesteckt haben musste, diese entsetzliche Lungengeschwulst stellte sich als eine leichte Erkältung heraus. Zwei Tage heiße Zitrone und Milch mit Honig, sagte Frau Breschke, dann war er schon wieder unterwegs mit Bismarck, dem dümmsten Dackel im weiten Umkreis. Doktor Klengel – er ist bereits zu seiner Schwester aufgebrochen und hat seine Praxis zwischen den Jahren einer Kollegin überlassen, die merkwürdigen Methoden frönt – verschrieb ihm ein paar Kopfschmerztabletten, damit war’s dann getan. Auch Siebels, der große Fernsehmacher, sah es mit Gelassenheit. Er hat im nächsten Jahr einen Lehrauftrag angenommen und wird sich den TV-Nachwuchs genauer ansehen, besser gesagt: dessen Elaborate für die Mattscheibe.

Zwei Monate lang hat mich Hildegard bekniet, mit ihr Weihnachten zu feiern. Dann gab ich nach. Und dann, ich schleppte gerade ein schmuckes Bäumchen für zwei Personen ins Wohnzimmer, teilte sie mir en passant mit, dass sie bereits zwei Tage vor dem Heiligen Abend zu ihren Eltern fahren würde. Der Tradition halber. Man nennt mich einen Glückspilz.

Ich hoffe, dass mein Weihnachtsgeschenk für Anne ein Erfolg wird. Immerhin hat sie es sich ja gewünscht – vielmehr ist es wünschenswert, dass sie endlich mal Kochen lernt, und was läge näher, als ihr einen Gutschein fürs Kochkurs-Wochenende in Bücklers Landgasthof zu schenken. Für zwei Personen. Wen sie da wohl mitnimmt?

Aber erst einmal erheben wir gemeinsam unser Glas auf ein weiteres Jahr in diesem Blog, das bestimmt spannend wird. Wenigstens zwei Dinge kann ich schon verraten. Es wird neue Limericks geben, und wir werden zusammen auf große Fahrt gehen. Um die Welt in fünf Zeilen, zwei Reime im Gepäck. Und ich habe es tatsächlich geschafft, den alten Misanthropen unter den Kolumnisten für uns zu erhalten – erst wollte Gernulf Olzheimer wieder alles hinschmeißen, fast hätte er mir das halbe Arbeitszimmer zerdeppert, aber als ich ihm sagte, dass ich für den Freitag auch ein Angebot seiner Erzrivalin Wanda Fettkrauth auf dem Tisch liegen hätte (sie verfasst den bohrend langweiligen, moralinsauren Murks, der samstags den Ostfälischen Landboten zu einer Prüfung für die Magenschleimhaut werden lässt), sagte er sofort zu. Er verschwand polternd und verwünschte die ganze Zivilisation, wir dürfen uns auf ein ganzes Jahr heftiger Ausfälle freuen.

Was sonst noch wird? Es gibt Ideen. Schauen wir mal. Es kommen einige Tage Weihnachtspause, ein rauschendes Silvesterfest, und am Montag, den 3. Januar 2011, sehen wir uns wieder. Allen treuen, allen neuen, allen zufälligen und regelmäßigen Leserinnen und Lesern, die hier etwas mitnehmen oder in Form von Kommentaren auch etwas dalassen, wünsche ich, je nach Gusto, ein fröhliches, turbulentes, besinnliches, heiteres, genüssliches, entspanntes, friedvolles und ansonsten schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und ein gesundes, glückliches Neues Jahr.

Beste Grüße und Aufwiederlesen

bee