Gernulf Olzheimer kommentiert (DXIV): Übertourismus

15 05 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Wandern mag des Müllers Lust gewesen sein, sobald sich der Nutzgrasanbau durchgesetzt hatte. Uga hockte nach wie vor in der Höhle und hatte genug zu tun, er verließ die Behausung nur, wenn tierisches Eiweiß auf dem Speisezettel fehlte oder das Brennholz knapp wurde. Der Gedanke, den Sonnenuntergang irgendwo am Rand der Steppe zu verbringen, wäre ihm vollkommen fremd gewesen. Hin und wieder lag er am Eingang der Behausung in der Sonne, um den Frauen bei der Arbeit zuzusehen. Andere Arten, etwas wie Freizeit zu verbringen, wären ihm komplett hirnverbrannt vorgekommen. Wir aber, die schon durchdrehen, wenn wir nicht zweimal im Jahr auf die Balearen hüpfen können, stellen das komplette Gegenteil dar mit unserem Reisedrang, dem bösartigen, rein auf Zerstörung ausgelegten Übertourismus.

Früher fügte sich der kapitalistische Europäer in lokale Gegebenheiten ein, bewunderte Bauwerke, lauschte fremder Sprache und adaptierte die eine oder andere Anregung aus Küche und Bekleidung. Vereinzelt brüsteten sich Schnösel mit Fernreisen, die in verwunschene Städte führten, und mählich setzte das dackeleske Ichsyndrom ein, auf Korsika nach deutschen Bratkartoffeln zu mäkeln. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Bausparer wuchs auch das Distinktionsgehabe der Angeber, denen ein Zimmer mit Mittelmeerblick nicht mehr reichte; es entstanden pittoreske Proletenbunker, die den einst malerischen Fischerdörfern eine amtliche Skyline ins Antlitz klotzten, und kaum war hier der Zug der Idioten Hauptsaison um Hauptsaison eingefallen, marodierte die begüterte Nachhut durch bürgerliche Gefilde, bis aus jedem Ladengeschäft ein buntes Restaurant mit Schweinepreisen wurde, damit die Einheimischen endlich nicht mehr in den billigen Ladengeschäften einkaufen mussten. So änderte sich alles, nur der Tourist war’s nicht mehr recht zufrieden, denn kaum hatte er alles so ordentlich mit Bums und Beton zugeschwiemelt, dass es so aussah wie bei ihm zu Hause, da mochte er die fernen Länder nicht mehr haben, denn da sah es ja überall wie zu Hause aus.

Das Heer der Pauschalkrieger allein verwüstete unterdessen mehrmals im Jahr Malle und soff sich komplette Hirnzentren weg, damit die nonverbale Kommunikation am Hotelpool leichter fiel. Nur die dezentrale Lage im Vergleich zur Rest-EU macht noch einen Unterschied, ansonsten ging diese Verdichtung zivilisatorischer Ausfallerscheinungen durchaus als Blaupause sozialer Brennpunkte in der Heimat durch. Wer also etwas auf sich hielt, musste erfinderisch werden, um die letzten Paradiese dieser Welt mit offenporiger Beklopptheit in moribunde Schlachtfelder der Fremdscham zu verwandeln. Doch der Hominide ist ein gewitztes Kerlchen und hart im Nehmen, weder die regionale Häufung von Terroranschlägen in gesellschaftlich desolaten Bananenrepubliken noch die dafür verantwortlichen Diktaturen korrupter Militärs machen ihm Sorgen, auch die Neigung zur Naturkatastrophe stattet ein Urlaubsland für ihn eher mit angenehmem Grusel aus. Hier und da bembelt sich der Dummschlumpf an der Bar des Feriengulags den Aufenthalt schön, weil er sich einbildet, sein Cluburlaub unter den willfährigen Kulis im Niedriglohnsektor würde dem bettelarmen Volk wenigstens ersparen, alle Kinder auf den Strich zu schicken.

Die Reisesucht hat längst krankhafte Züge angenommen, wenn die Knalltüten hastig auf die Malediven jetten, bevor ihre Flugreisen den Ozean über den Inseln ziehen, nehmen auf dem Rückflug schnell noch den Nordpol mit und gucken putzigen Eisbärenbabys beim gepflegten Verrecken zu. Für die Wintermonate werden schnell ein paar Berge aus dem Massiv gehobelt, dick mit Kunstschnee gepolstert und mit Autobahnzubringern vollgemüllt. Das Volk wird schichtweise an- und abgekarrt, kotzt ein bisschen in die Landschaft und benimmt sich ansonsten so, dass dem unbeteiligten Zuschauer die vollständige Vernichtung der Spezies nicht mehr als Verlust auffiele. Noch ein paar Runden, dann ist die abfahrtstaugliche Schneeausstattung nicht mehr finanzierbar, zumindest nicht für die Dödelrotte der Loipenloddel, die alle Jahre wieder in die Berge kommen. Irgendwann haben sie es kaputtgespielt, und keiner weiß, wie lange es noch dauert.

Unterdessen stapfen sie noch durch die großen Städte der alten Welt, Rom und Venedig, warten in der sengenden Sonne des sich wandelnden Klimas vor Brunnen und Basiliken, bis ihnen für ein paar Minuten Einlass gewährt wird, mit ihresgleichen die Selfiesticks vor dem Hauptaltar zu verhakeln, damit sie aus der Ferne mitbringen, was schon seit Generationen vor dem seligen Absterben nötig ist, um ein erfolgsgekröntes Leben zu demonstrieren: Bilder. Herr Brömseklöten auf dem Markusplatz, Herr Brömseklöten vor dem Eiffelturm, Herr Brömseklöten mit Frontschaden, weil er sich auf der Spanischen Treppe sauber aufs Maul gelegt hat. Es gibt keine Erklärung für diesen Hirnplüsch, es sei denn, man zieht Vaterlandsliebe ins Kalkül. Denn wer würde das Land, in dem er lebt, derart verschandeln und sich dann noch darin fühlen wie zu Hause?