Gernulf Olzheimer kommentiert (CL): Die subjektive Meinung

11 05 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der unschuldige Verkehrsteilnehmer bemerkt es in der Kassenschlange. Im Wartezimmer. Nachts im Bierlokal und tags darauf beim Betreten der heimischen Küche. Er ist von Meinungen umgeben, subjektiven Meinungen, die seine Ohren zum Blutfluss anregen. Subjektive Meinungen – die Waffen des Teufels, sanft wie Schmirgelpapier, der letzte Versuch des Hominiden, seine Unterlegenheit krachend unter Beweis zu stellen.

Das ordinäre Geschwätz wird zur Meinung, wenn der ahnungslose Verbalabsonderer ihm die Insignien einer Standortbestimmung verleiht: hier hockt er in der intellektuellen Wildnis, nackt und frierend, er kann nicht anders. Schon immer hatte sein Ich, sein Hier, sein Jetzt diese unangenehme Neigung, sich für den Ausgangspunkt des Urknalls zu halten, auch wenn mehr als ein gewaltiger Knall in Hirnschalenhöhe dabei nicht herumgekommen sein mag; schon immer hielt der Bekloppte sein argumentatives Gepopel für die Weisheit in Tüten und nicht für den Ausbund seiner bis dato grassierenden Mängel: Bildungslücken und Denkschwäche. Was uns zu felsenfesten Meinungen der scheinbaren Vernunft treibt – Arbeit erzeugt den größten Reichtum, Deutschland ist eine Demokratie, der Mond ist aus grünem Käse – ist oft nicht viel mehr als der windschiefe Fang eines borderlineintelligenten Nachschnackers. Wo immer sich ein Klischee einfangen lässt, beginnt die Bastelstunde der Dumpfnulpen.

Meinungen entstehen mit der Sozialisation; mühevoll der Verdeppung entronnene Eltern haben es taktisch leichter, ihr Brut vor dem Bodensatz zu retten – Unterschichten-TV, Springersums und ähnliche Beleidigungen wie der Besuch einer NPD-Wahlabends reichen für gewöhnlich, die historische Blödheit im eigenen Stall zu belassen. Klischees und Vorurteile vor Selten- und Nichtschwimmern prallte nicht ins Leere, träfe nicht in dieses Vakuum eben die präparierte Art der verkrusteten Doofheit. Alle Nordpolen, Nerdrheinwestfalen, Brillenträger und Freizeitveganer wissen es zu klagen, kaum ist man entflohen aus dem Bannstrahl der kognitiv Naturbelassenen, da geht der verschwiemelte Geist auf die Suche nach der Plattestform des Denkens, die zu Lochfraß und Untiefen neigt. Man hüte sich vor derlei Gehäkel.

Nun muss man dem Missverständnis vorbeugen, nur das Fehlen von Intelligenz sei der matschige Nährboden und allein unselig machend den Bescheuerten, der sich und seine Resthirnrinde den Ammenmärchen ausliefert, die ihm fortan das Hirn verschwiemeln. Aberglaube, die feste Überzeugung, dass Hexen nur nach Mitternacht auf Besen reiten können und Frankfurt die Hauptstadt Hessens ist, trübt die Pupille der Zeitlupendenker; Scheuklappen und Brett sind die Grenzlinien, innerhalb derer sich die Meinungsbildung vollzieht. Dass auch Ideologie, dass auch wirres Denken und krude Gesinnung jeglicher Herkunft als treibende Kraft bei der Ausprägung der intrinsischen Kasperade auftauchen, scheint niemanden zu stören – post mortem untersucht es sich eh viel leichter.

Keiner verdenkt’s dem unbedachten Laberhans, gleitet er ab in eine Verschwörungstheorie, wie sie dem akustischen Ameublement innerhalb der Kalotte entspräche – freudvoll schnackt der gegen sich selbst immune Dummbeutel von der Welt, die sich von der eigenen Logik abschottet – er hätte unter den üblichen Konditionen der Meinungsfreiheit noch immer die Freiheit, seinen Schwulst in die desinteressierte Mitwelt zu schwurbeln, auf die Gefahr hin, dass es bedauerlicherweise jemand ernst nähme. Denn auch hier lauert das tragische Missverständnis der Zeit, in der jeder sich für den Nabel der Welt dünkt: eine Meinung, und sei sie noch so subjektiv, genießt eher das Privileg, aus Gunst überhört zu werden, als die allgemeine Anerkennung, da sie sich in die Nähe der Meinungsgrenzen schleppt, wo sie das staatsrechtlich wirkende Konglomerat mit ihr zu befassen hätte – würde das bissel aufgeregtes Gehampel vor zerkautem Hintergrund auch nur an die Koordinaten des angedrohten Grenzbereichs prallen. Brötchen und Bier sind zu teuer? Ihr dürft es äußern. Die Kanzlette irrt? so what. Dann werden wir also den Deckmantel der Verblödung und seine Hinterlassenschaften betrachten.

Keiner fragt, ob der gewöhnliche Bürger eine intakte Bildung vorzuweisen hat; keinen interessiert es, ob er sich durch Empirie oder historischen Wissenstransfer in die distinktive Position gehievt hat; wer will schon wissen, was neben einem Grütze produziert. So funktioniert schon die Einbettung der Intelligenz in unser Gesellschaft, warum sollte es in Fußhöhe anders sein. Wer immer noch fragt, warum man sein Geschwafel für und gegen den Euro-Betonpakt, Nordafrika oder ein kaum zum Industrieland aufgestiegenes Büdchen aufpumpt, es gilt als schützenswertes Zeichen. Jeder darf sich zum Horst machen. Wir leben ja in einer Demokratie. Was vieles ausgleicht.


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