Was Frauen wünschen

12 08 2013

„Frauen-Chips!“ Anne trat unvermittelt auf die Bremse, so dass ich nach vorne geschleudert wurde. „Für so einen Dreck ist Deine Branche natürlich immer gut. Frauen-Chips! Demnächst verkaufen einem die sexistischen Deppen kalorienreduziertes Wasser für Damen!“ Es war Samstag, es war in einem komplett überfüllten Einkaufszentrum, kurz: es waren die idealen Bedingungen für sie, einen Wutanfall auszuleben.

„Ich habe bei Männerbratwurst geschwiegen“, zischte sie, „bei rosa Überraschungseiern habe ich die Zähne zusammengebissen, aber Frauen-Chips? Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Und sie legte sich gewaltig in die Rechtskurve. Natürlich ist es störend, wenn ein labberig riechendes Sahne-mit-Billigpaprika-Knabberzeugs explizit für die Damenwelt kreiert wird und dies auch noch bunt auf den Plakatwänden prangt. Aber kann man es nicht auch übertreiben? Anne war anderer Meinung. „Schau Dir diese verdammte Werbung an. Schau sie Dir an! Holzfällersteak!“ „Das ist nur so ein Name“, versuchte ich sie zu beruhigen, „man nennt das nach den…“ „Siehst Du hier irgendwo einen Holzfäller“, herrschte sie mich an. Ich zog den Kopf ein. Wir waren am Ende des Parkplatzes.

Nachdem ich kurz den Sitz meiner Nerven im Innenspiegel überprüft hatte, löste ich den Sicherheitsgurt. „Erstens bin ich nicht für diesen Werbeauftritt verantwortlich, auch nicht für die Verpackung oder das Marketing, und zweitens…“ Sie wischte es vom Tisch. „Ach was, Ihr seid doch alle gleich! Außerdem interessieren Euch doch die Bedürfnisse der Frauen überhaupt nicht.“ Ich protestierte. „Nur weil Du zufällig Strafverteidigerin bist, halte ich auch nicht alle Juristen für…“ Die Tür musste mich zufällig am Kopf getroffen haben.

Kaum hatten wir den Heimwerkerfachmarkt betreten, stampfte Anne mit dem Fuß auf den Boden. „Sieh sich einer diesen sexistischen Mist an! Das ist doch nichts als Diskriminierung!“ Zugegeben, die Werbeaufsteller von Blumen gießenden Weibchen im Dirndl und Holz mit knatternden Motorsägen zerlegenden Muskelprotzen schien nicht ganz frei von den in Jahrhunderten eingeübten Geschlechterrollen. „Und sie wissen nicht einmal, was sie damit anrichten. Sie können mit Kundinnen gar nicht umgehen.“ Das bezweifelte ich. Ich hätte es nicht tun sollen.

Wie aus dem Boden gewachsen stand sie plötzlich vor einem Verkäufer. „Ratschenkasten“, bellte sie. Der Verkäufer blickte sie ungläubig an. Ich interessierte mich auffällig für die Unterschiede zwischen braunen und schwarzen Pinseln, griff aber nicht in die Kampfhandlungen ein. „Sie wollen also einen Ratschenkasten“, stammelte er. Anne zog indigniert eine Braue hoch. „Wenn ich ein Toastbrot wollte, hätte ich ‚Toastbrot‘ gesagt.“ Offenbar war Logik nicht seine Stärke, denn er hatte doch einen Augenblick zu lang überlegt. „Haben Sie zufällig einen da“, bohrte sie nach, „oder muss ich Ihnen erst zeigen, wie die Dinger aussehen?“ Er griff in die Auslage und zog ein Plastikköfferchen hervor. „Der hier wird gerne genommen, sehr handlich, in Rot, ergonomischer Griff, abwaschbar und…“ Ich wandte mich von den Pinseln ab. Dies würde sehr lehrreich werden, größtenteils für den Verkäufer. Ansatzlos ging Anne zum Angriff über. „Ich will das Ding nicht als Raumschmuck, Sie Pausenclown. Aufmachen!“ Mit zittrigen Fingern öffnete er die Schnappverschlüsse und klappte das Köfferchen auf. Sie ließ ihren Blick über das Innere schweifen. „Umschaltknarre?“ Der Verkäufer geriet bereits in leichte Panik. „Ich muss ja sicher nicht eigens über Kugelarretierung reden, und dass das kein Vanadiumstahl ist, können Sie auch gerne selbst auf der Packung lesen. Dann zeigen Sie mir doch mal, was Sie für Erwachsene da haben.“

Spätestens an diesem Punkt hätte ich wissen müssen, was auf mich zukommt. Legendäre Shoppingtouren der vergangenen Jahre – die Pumps bei Langmeyer & Wolff, ein seidener Hosenanzug bei der Neueröffnung von Sack und Leinen, nicht zu vergessen die Schrankwand in Kirsche gebeizt – erschienen vor meinem geistigen Auge, Auseinandersetzungen von historischem Ausmaß, die in einer Liga spielten mit dem Dreißigjährigen Krieg. „Das wäre der 104-teilige Kasten“, beeilte sich der Verkäufer. Anne warf einen flüchtigen Blick auf das Ensemble. „Wenn ich eine Rohrzange haben will, gehe ich ins Kaufhaus. Das sind Viertelzoll-Steckschlüssel, was soll ich damit anfangen?“ Verständnislos sperrte er den Mund auf. „Was mache ich bei einem Gewinde mit Halbzoll?“ Er beging den Fehler seines Lebens; der Verkäufer versuchte, witzig zu sein. „Nehmen Sie doch zwei Viertelzoll, dann müssen Sie nicht umspannen.“

Der Filialleiter schien unter plötzlich auftretenden Schweißausbrüchen zu leiden. Jedenfalls hatte Anne ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass sie eine Abneigung gegen schlecht ausgebildetes Verkaufspersonal hat. „Was ist mit dem 215-teiligen Knarren-Set aus dem letzten Halbjahresprospekt? Und überhaupt, Vier- und Sechskant als Standardsortiment, womit soll ich dann Zündkerzen festdrehen? Bekomme ich bei Ihnen ein Schweizer Offiziersmesser nur gegen Aufpreis mitgeliefert?“ Der Vorgesetzte versuchte gar nicht erst, sie zu unterbrechen; es wäre wohl auch zwecklos gewesen. „Ich gebe Ihnen einen kostenlosen Ratschlag“, sagte sie und rümpfte die Nase. „Versuchen Sie es als Versicherungsvertreter, da können Sie ihren Kunden alles andrehen, wovon Sie selbst keinen blassen Schimmer haben.“ Der Filialleiter brach stöhnend zusammen. Anne drehte sich um und fasste mich am Arm. „Und jetzt auf zu Sack und Leinen. Du brauchst noch eine Krawatte.“


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7 responses

21 11 2013
Miel

Ich habe unfassbar viel gelacht bei diesem Text. Danke.

21 11 2013
bee

Ich schwöre, es ist nie so passiert. Und keiner hat es gesehen. Sonst würde Anne…

22 11 2013
Woche woanders #8: tanzen mit Pi und Motorrädern, Haare zu Waffen und Gedichten, und dann ab damit in den Baumarkt | Dies ist keine Übung.

[…] hoch. ‘Wenn ich ein Toastbrot wollte, hätte ich ‚Toastbrot‘ gesagt.’” – Was Frauen wünschen. Ein unfassbar großartiger […]

22 11 2013
creezy

like it, like it, lilke it.

22 11 2013
bee

Danke, danke, danke 😉

22 11 2013
kinderdok

Hammer.

Das einzig passende Werkzeug zu diesem Posting. Danke.

22 11 2013
bee

Anne würde nie etwas einstecken, was nicht in ihre Handtasche passt.

(Oder war’s umgekehrt?)

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