„Womit habe ich das verdient?“ Schwer schnaufend und krebsrot lief er durch die Küche. Seine hoch aufgezwirbelten Schnurrbartspitzen bebten bedenklich. Bruno knirschte vor Wut mit den Zähnen. „Und wenn ich in meinem vorigen Leben Milchpanscher gewesen sein sollte, womit habe ich diesen Bruder verdient!?“
Dabei hatte es Hansi nur gut gemeint – wieder einmal. „Ich dachte, wir könnten ein bisschen kostenlose Werbung gut vertragen.“ Bruno tobte. Er, von Freund, Feind und Verehrern Fürst Bückler gerufen, kochte seit Jahrzehnten im legendären Landgasthof seiner Väter Schwarzsauer und Aal in Gelee, während sein Zwillingsbruder servierte. Wenn der, Hansi nämlich, nicht mit seinen selten durchdachten Einfällen die Existenz des Lokals aufs Spiel setzte. Ich räusperte mich. „Da wäre nur ein kleines Problem“, wandte ich ein. „In der Sendung Korinths Kaschemmen werden nun mal ausschließlich Restaurants gezeigt, die bei den Gästen unangenehm auffallen. Und das ist nun wirklich keine Werbung für Euch.“ Der, um den es ging, stolzierte auch schon ungeniert durch die Küche und dirigierte einen Kameramann von Herd zu Herd. „Hier noch ein bisschen“, kommandierte Jens Korinth. „Außerdem bräuchten wir ein paar Konservendosen. Linsensuppe oder so was.“ Petermann verzog das Gesicht, als hätte er in eine faule Zitrone gebissen. „Sie wissen wohl nicht, wo Sie sich hier befinden?“ Der Entremetier war gereizt, allein das ließ der Stör-Koch nicht gelten. „Wir brauchen ein paar Ekelbilder. Sauen Sie die Küche mal ein oder kippen Sie den Mülleimer um, das kann ich doch so hier nicht filmen.“
„Das Produktionsteam hat mir zwei Dutzend Gäste versprochen“, jammerte Hansi. „Zahlende Gäste – ich konnte doch unmöglich ablehnen!“ Bruno raufte sich die Haare. „Wir sind doch die ganze Woche ausgebucht“, fauchte er. „Wo soll ich denn die Gäste hinsetzen? in die Garderobe?“ „Im hinteren Salon ist ja eingedeckt“, stellte ich fest. „Dann müsste einer von uns im Service aushelfen, und wir hätten auch jemanden für vorne.“ „Pardöngchen“, drängelte sich Korinth dazwischen, den Kameraträger stets im Schlepp. „In zwei Stunden kommen zwei Dutzend Testesser und erwarten ein Dreigangmenü. Was bekommen sie zu essen? Ich muss in fünf Minuten Bescheid wissen.“ Bruno guckte konfus. „Was soll das denn jetzt?“ „Sie werden den Leuten Ihren üblichen Murks vorsetzen, und dann werden wir filmen, wie enttäuscht sie sind.“ Ängstlich sah ich mich um. Jeden Moment musste Bruno zum Fleischerbeil greifen und sich auf den größenwahnsinnigen TV-Macher stürzen. „Machen Sie irgendwas“, onkelte der. „So kompliziert ist das doch nicht, ein Menü mit drei Gängen aufzutragen, oder? Nicht mal für diesen Laden hier.“ Bruno hielt sich am Tisch fest, Hansi tastete nach seinem Kragen, die beiden Kellnerinnen starrten betreten zu Boden. Da hatte ich einen Einfall. „Du kommst mit“, verkündete ich und zog Hansi aus der Tür. „Wir nehmen den Wagen, dann sollten wir es locker schaffen – Ihr präpariert inzwischen zweimal zwei Dutzend Gedecke.“ Bruno kapierte nicht. „Lass mich machen, wir fahren kurz zu Erwin Knausrigmann.“
Knausrigmann als unangenehmen Zeitgenossen zu bezeichnen wäre eine nicht zu rechtfertigende Untertreibung. Er kochte mit Dingen, die andere nicht einmal anfassen würden, bezahlt seine Angestellten schlecht, aber selten pünktlich, und hatte öfter die Gewerbeaufsicht am Hals als einen ausverkauften Laden. „Seit gut einem Jahr hat er am Autobahnzubringer eine Art Essensausgabe, die auch außer Haus liefert. Wir brauchen eigentlich nur ein paar Schnitzel oder Fischstäbchen oder was der Knabe sonst gerade aus der Tonne geholt hat. Avanti!“ Hansi gab Gas.
„Kleiner Salat mit Filetstreifen, Fisch mit Kartoffeln und Eis mit Sahne.“ Korinth war wohl zufrieden, es hörte sich jetzt schon unappetitlich an. Ich winkte Petermann heraus. „Wo bleibt Ihr denn?“ „Alles im Kofferraum“, beruhigte ich den Koch. „Wir richten jetzt an. Ihr bringt die erste Hälfte des Geschirrs hier an den Gang, der zum Salon führt, und wir präparieren das Zeug für die Kamera. Dann trage ich es bis zur Tür…“ „… und ich serviere die richtigen Speisen von hinten über die zweite Tür in den Salon…“, übernahm Hansi. „… und ich entsorge den Kram unten in der Stellage vor dem Kühlraum“, schloss ich. Petermann strahlte. „Hervorragend! So machen wir das!“
„Salat mit Filetstreifen – da bin ich ja mal gespannt, was sich dahinter verbirgt.“ Korinth und Kamera schlängelten sich in den Gang, während Hansi seelenruhig in der Küche die Teller zählte. „Wir nehmen immer die einheitliche Mischung“, verkündete ich scheinheilig, während ich eines der Prallkissen mit Fertigsalat auf die Tellerchen häufte. Knausrigmann hatte uns Mengenrabatt gegeben, ich musste nicht einmal sparsam sein. Umso genauer verteilte ich die Streifen aus der kleingewürfelten Geflügelbrust. „Streifen – Plural, also mindestens zwei.“ Korinth ächzte leise. Er würde es vor laufender Kamera verkosten müssen. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. „Dann werde ich mal.“ Mit drei Tellern marschierte ich den Gang abwärts, bog kurz vor der Salontür scharf ab in den Korridor, wo die Treppe zum Kühlraum sich anschloss und hörte noch, wie Hansi oben die Tür aufschwang. „Rauke und Blüten“, trug er vor, „dazu marinierte Streifen vom Wagyū-Rind.“
Petermann zirkelte die Butterkartoffeln in die Schälchen. „Den Wolfsbarsch sofort servieren“, schrie Bruno, obwohl ich kaum eine Armlänge entfernt vor ihm stand. „Und den Kerbelschaum gleichmäßig verteilen.“ Die Tür schwang auf. „Wo bleibst Du?“ Hansi war außer Atem. „Ich habe das Schlemmerfilet ausgepackt, die Pommes passen auch noch auf den Teller drauf.“
Die vorletzte Portion war gerade im Keller verstaut, da schlich sich plötzlich Jens Korinth in den Gang hinein. „Dies also ist Bücklers Landgasthof, angeblich eine der besten Gaststätten der Region.“ Sein hämischer Unterton war nicht zu überhören. „Vermutlich halten die Gäste es schon für Sterneküche, wenn der Hund nicht seinen Teller wiedererkennt.“ Jeden Moment musste Hansi von vorne aus der Küche kommen und den Fisch auftragen – der Fernsehkasper stand gefährlich nah am Korridor. Was, wenn er den richtigen Kellner bemerken würde? Schon schwang die Tür auf. Da rempelte ich den Wagen mit den Weingläsern an. Ein gewaltiges Klirren ertönte, Petermann stürzte aus der Küche heraus. „Was habe ich Ihnen gesagt“, brüllte er geistesgegenwärtig, „Sie sollen nicht so einen Lärm machen! Man versteht hier ja sein eigenes Wort nicht! Wollen Sie etwa, dass sich die Gäste über diesen Krach beschweren? Ruhe jetzt! Ich sage Ihnen das zum letzten Mal!“
Zitternd vor Anspannung tupfte sich Hansi den Schweiß ab. „Das war knapp“, stammelte er. „Wenn wir jetzt das Krokantparfait auch noch hinkriegen, mache ich drei Kreuze.“ „Drei Sterne“, korrigierte ich. „Also, keine Angst. Wir tricksen ihn aus.“
Breitbeinig lief Jens Korinth durch den Salon, da die Gäste bei Kaffee und Schnäpsen schon angeregt plauderten. „Ich habe Ihnen nun diese Karten zur Bewertung mitgebracht, auf denen Sie Punktzahlen vergeben können – geben Sie jeweils Punkte für die einzelnen Gänge sowie für den Service und das Ambiente.“ „Er kommt sich doch ziemlich selbstsicher vor“, zischte Hansi durch die Zähne.“ Ich grinste. „Warten wir’s ab. Jetzt will er ein paar O-Töne von den Gästen haben.“ Tatsächlich näherte er sich einem der Tische und fragte eine ältere Dame, wie es ihr gefallen habe. „Großartig“, schwärmte sie. „Ganz großartig – der Fisch war genau auf den Punkt gegart, und die Kräuter! Einfach vorzüglich!“ Sein Kiefer klappte herunter. „Mich hat ja die Vorspeise am meisten beeindruckt“, ließ sich ein dicker Mann mit Glatze hören. „Genau die richtige Mischung, dazu dies exquisite Filet, wissen Sie: es gibt Dinge, die man sich nicht selbst zubereiten kann.“ „Schnitt“, flehte Korinth, „Kamera aus! Das ist ja unerträglich!“ Unterdessen gaben die Gäste durchweg die volle Punktzahl. „Ich habe sogar Sterne draufgemalt“, trumpfte die Dame auf. „Das ist hier ja Sterneküche!“
Hektisch verstaute das Team die Ausrüstung im Kleintransporter. „Er hätte sich wenigstens von uns verabschieden können“, kicherte Bruno. „Offensichtlich hat es ihn doch zu tief getroffen, dass die Hälfte der Gäste gleich eine Reservierung für den nächsten Monat hinterlassen hat.“ „Und was wird jetzt aus seiner Sendung?“ Hansi sah mich fragend an. „Keine Sorge“, teilte ich ihm mit. „Er kriegt sein kulinarisches Notstandsgebiet, und daran wird er sich tatsächlich die Zähne ausbeißen. Ich habe ihn zu Knausrigmann geschickt.“
Das kitchen nightmare ist Fürst Pückler glücklicherweise erspart geblieben. Wer sich mit Korinthenkackern einlässt, kann seine Bude auch gleich schliessen..
Letztlich bleibt ja bei allem das Problem, dass der unbedarfte Zuschauer den Realitätsabklatsch für bare Münze nimmt und selten merkt, wenn ihm inszenierte Klischees vorgesetzt werden. Erschwerend kommt bei den Supernanny-Restauranttester-Formaten diese paternalistische Kopfnote hinzu, die dem Normalbürger erst richtig demonstriert, wie sehr er von oben herab behandelt wird, während er ja angeblich selbst für seinen gesellschaftlichen Erfolg verantwortlich sein soll. Es ist Propaganda, nicht weniger.