Schmorgrippe

4 05 2009

Das war Rettung in letzter Sekunde. Hätte mir Reinmar nicht sein Auto geliehen, ich wäre niemals rechtzeitig zu Tante Elsbeths Geburtstag gekommen und hätte am Ende gar noch die Aussicht auf ein ansehnliches Erbe in den Sand gesetzt. Zwar wehrte der Freund jeglichen Dank ab, doch ich beließ es nicht bei einem Obolus für den verfahrenen Sprit und lud ihn zum Essen ein. So suchte ich auf dem Wochenmarkt etwas Passendes und hielt schließlich am Frischfleischstand.

Da sah ich sie beide kommen. Herr Breschke steuerte quer über den Platz auf mich zu. Der Grund, warum er leicht humpelte, lief zwischen seinen Beinen: Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, wickelte seine Hundeleine mal um Breschkes linkes Bein, mal um das rechte. Der pensionierte Beamte sortierte seine Hinterläufe wie ein junger Hund. Kaum hatte er mich vor dem Stand gesichtet, blieb er stehen und nutzte die Pause für eine Unterhaltung.

„Gott, was soll man denn noch essen! Es wird ja immer schlimmer mit diesen ganzen Krankheiten! Fleisch geht ja auch schon gar nicht mehr. Ich sag’s Ihnen, es geht zu Ende!“ Mitfühlend erkundigte ich mich, ob Herr Breschke wegen akuter Gichtanfälle etwa auf Kalbsbries, Schweinebraten und grüne Erbsen verzichten müsste, doch er winkte ab. „Ach was, ich meine doch diese Schweinegrippe!“ Tiefer Zorn umwölkte seine hohe Stirn, er senkte ergrimmt die Augenbrauen. „Das ist organisierte Kriminalität, wenn Sie mich fragen.“ Ich fragte ihn zwar nicht, aber er klärte mich umfassend auf. „Das liegt alles an der Massentierzucht. Die Tiere haben doch heute so gut wie kein Immunsystem mehr, die gehen alle direkt im Stall kaputt. Und dann holen die sich alle Krankheiten, die sie aufschnappen können.“ „Das heißt“, erkundigte ich mich, „dass diese Grippe auf die Schweine übertragen wurde?“ „Na sicher! Die haben die ausgebrütet.“ Ja, das klang einleuchtend. Ich stellte mir vor, wie die Borstenviecher im Stall auf ihren Ferkeln hockten, eine Sau neben der anderen. Bismarck kläffte zur Bestätigung.

„Ob das nicht eine Mutation der Vogelgrippe sein könnte? Sie erinnern sich vielleicht, diese Infektion aus Asien.“ Herr Breschke erinnerte sich natürlich. „Sicher, sicher! Damals haben wir doch den Geburtstag von meiner Frau beim Chinesen gefeiert und Schmodderbecks waren auch dabei, wissen Sie noch? Was ging es denen schlecht nach dem Hühnchen süß-sauer!“ Ich besann mich dunkel auf den Abend. Es war denkwürdig gewesen. Herr Schmodderbeck hatte nach dem Genuss von zu viel Pflaumenwein, den er für das Tischgetränk gehalten hatte, heftig die vorzüglichen Speisen der Familie Qinglang wieder von sich gegeben, mehrheitlich auf die Auslegeware. Was nun Frau Schmodderbeck betraf, sie hatte sich an die Frühlingsrollen gehalten, doch Breschkes Tochter, eine überzeugte Veganerin, hatte sie den ganzen Abend lang mit Geschichten über Affen, Hunde und Schlangen gequält, die man in asiatischen Imbissen gefunden haben solle. Mit fahlgrünem Gesicht hatte sie endlich ihrem Gatten vom Stuhl geholfen und sich hastig verabschiedet.

„Glauben Sie nicht auch, dass das eine direkte Auswirkung der Geflügelpest sein könnte? Denken Sie nur mal an die Schweinepest, das kann doch zusammenhängen.“ Herr Breschke runzelte die Stirn. „Also jetzt, wo Sie es sagen… da muss ja ein Zusammenhang bestehen.“ Er packte mich am Arm. „Was kommt da noch auf uns zu? Wissen Sie da mehr als ich?“ Seine Augen flackerten irre.

Schon schwebten mir kulinarische Kreationen vor: Pestbratwurst, Schmorgrippe, Cholerarouladen. Eigener Seuchenherd ist halt Goldes wert.

Ich beugte mich herunter. „Ein abgekartetes Spiel, wenn Sie mich fragen – dahinter steckt die Mafia. Der Pate heißt Jakob Creutzfeldt. Erst haben sie uns mit BSE das Rindfleisch vom Teller gezogen, und schwupps! stiegen die Preise für Schweinefleisch. Habe ich nicht Recht? Mehr als zehn Jahre ist das her.“ Eifrig nickte Herr Breschke. „Und wie die Preise seitdem explodiert sind, das ist ja nicht zu fassen!“ Mit verschwörerischem Ton flüsterte ich weiter: „Dann kamen Schweinepest und Geflügelpest. Und die Eierpreise? Sehen Sie! Reden wir noch nicht mal von den vielen Würmern im Frischfisch. Seitdem kann man sich ja noch nicht mal ein Fischbrötchen zwischen die Kiemen schieben.“ Der Dackel an meinem Hosenbein ließ mich intensiv an einen Bismarckhering denken, aber ich ersparte Herrn Breschke diese Assoziation. „Dann hatten wir die Kaninchensyphilis – teuflisch, sage ich Ihnen, nicht einmal einen Hasenrücken mit Preiselbeeren darf man sich heutzutage gönnen! Von Meerschweinchenräude und Hundediabetes sind wir ja zum Glück verschont, was glauben Sie, wie sich die Chinesen inzwischen ernähren? Reis und Gemüsesuppe, glauben Sie’s nur, mehr haben die nicht mehr!“ Herr Breschke atmete schwer. „Ich sag’s Ihnen, keinen Rheinischen Sauerbraten mehr! Der nächste Coup wird die Pferdegrippe.“

„Wir haben noch Lammkoteletts im Gefrierer“, murmelte Herr Breschke, „und unser Nachbar zieht im Garten eigenes Gemüse.“ „Aber bleiben Sie auf der Hut!“ Ich schaute ihn eindringlich an. „Bei der Landwirtschaft mit Dünger und Pestiziden weiß man nie. Am Ende holen Sie sich Möhrenrheuma! Man erkennt das“ – ich machte eine ruckartige Bewegung mit den Fäusten – „am knackenden Geräusch.“ Verstört drehte er ab und torkelte über den Marktplatz. Bismarck zog Leine, und zwar zwischen Herrn Breschkes Füßen. So schnell würde er sicher kein Würstchen mehr bekommen.

Ich drehte mich um und betrachtete die Auslage. Einfach und schnell sollte es sein. Aber wirksam. Die Verkäuferin empfahl mir fertig angemischte Schmorgerichte. „Dann hätte ich gerne anderthalb Pfund von der Mexikanischen Schweinepfanne.“


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3 responses

4 05 2009
Donkys Freund

😀 Ja, was kann man denn anderes mit gutem Gewissen essen, als mexikanische Schweiepfanne. Da weiß man jedenfalls, was man hat.

4 05 2009
bee

Bloß nicht verschlucken, sonst fliehen alle unter den Tisch 😉

6 05 2009
Feines zur Ernährung im Äon der Hysterie « Irgendlink

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