Leistungsloses Einkommen

24 11 2022

„Aber sicher, auch die Hose. Oder glauben Sie, wir geben uns mit Ihrer Brieftasche und der Uhr zufrieden? Machen Sie keine Sperenzchen, das Hemd behalten Sie ja an, also das Unterhemd, und wenn Sie gerade keins tragen, dann ist das eben mangelnde Eigenverantwortung. Irgendwie muss der Staat ja auch zu seiner Kohle kommen.

Doch, das ist jetzt unsere. Nicht mehr Ihre. Sie haben jahre-, ach was – seit Jahrzehnten sagen Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass Steuern Raub sind. Jetzt nimmt man Sie und Ihr Verständnis von Staat einmal ernst, dann ist es auch wieder verkehrt. Was denn nun? Ihre Kumpels wollen doch auch nicht zur Arbeit, die möchten sich lieber im Bundestag ausruhen oder sonst irgendein Amt haben, in dem sie fürstlich fürs Nichtstun entlohnt werden, und Bürgergeld reicht denen ja nicht aus, obwohl die da ganz sicher mehr haben, als wenn sie jeden Morgen aufstehen und ins Büro fahren. Also woher nehmen, wenn nicht rauben?

Aus Ihrer Uhr könnte man beispielsweise ein bis zwei Luftfilter für Schulen anschaffen, die dann die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler fördert, die einen guten Abschluss machen, eine Ausbildung absolvieren oder ein Studium und dann einen Beruf ergreifen, der unser Bruttosozialprodukt steigert. Das ist doch in Ihrem Sinn, oder? Dann quaken Sie mich nicht voll, wir könnten sonst auch noch Ihre Schuhe beschlagnahmen. Solidaritätszuschlag.

Warum wir das mit Ihnen machen? Gottchen, Sie sind mir vielleicht naiv! Bisher hat Sie der Staat ausgeplündert, und jetzt sind das wir? Was denken denn Sie, wer der Staat ist? Das sind wir alle, oder hatten Sie bisher absolutistische Vorstellungen? Ach Gott, jetzt kommt wieder die Nummer mit der Umverteilung. Sie lassen nach, früher wurde das sofort als Sozialismus beschimpft, wenn man eine Leistung bezahlt, die dann alle anderen nutzen dürfen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie in einer Krankenkasse versichert sind, auf jeden Fall wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt, diesen Zustand zu beenden. Wenn Ihnen auf die Schnelle kein Grund dagegen einfallen sollten, regeln wir das für Sie.

Wenn Sie eine zweckgebundene Umverteilung bevorzugen, dann könnten wir selbstverständlich auch Ausnahmen machen. Sie sind ja Autofahrer, da ließe sich ein Weg finden. Beispielsweise könnte man eine differenzierte Straßenmaut einführen: Stadtverkehr, Bundesstraßen, Autobahnen. Sie schließen ein Abomodell mit Grundgebühr ab, die gefahrenen Kilometer werden entweder vorher in Paketen bezahlt oder hinterher abgerechnet. Dazu haben Sie Ihre Fahrerkennung immer dabei, Ihr Streckenverbrauch wird auf zehn Meter genau von einer Zentrale abgerechnet – woher wir das wissen, muss Sie ja nicht interessieren, aber falls es dann doch mal schwere Straftaten gibt wie Falschparken oder Kinderpornografie, dann haben wir Ihre Daten selbstverständlich immer noch ein bisschen länger vorrätig. Das ist so unser Freiheitsbegriff, es darf ja jeder einen eigenen haben, oder nicht? Was daran zweckgebunden ist? Ihre Abgaben werden dann nur in den Bau und die Erhaltung des Straßennetzes investiert, und zwar genau da, wo Sie fahren. Wenn Sie jetzt einen wenig befahrenen Abschnitt auf einer wenig befahrenen Bundesstraße befahren, dann ist die Anzahl der Schlaglöcher, die Ihr Fahrzeug mit Sicherheit beschädigen werden, einzig der Tatsache geschuldet, dass wir und ganz in Ihrem Sinne für eine gezielte Förderung entschieden haben. Einfach mal so vor die Tür gehen und erwarten, dass die Ampel Sie als Fußgänger vor dem Verkehr schützt, das wäre ja Gratismentalität.

Leistungsloses Einkommen! Ich dachte schon, das käme nie! Wirklich, mir fällt ein Stein vom Herzen, ich hatte schon die Befürchtung, Sie wären in der Zwischenzeit irgendwann mal zum Denken gekommen und hätten festgestellt, dass Ihnen das immer noch Kopfschmerzen macht. Leistungsloses Einkommen, damit ist natürlich alles erklärt, und vor allem, warum Sie das ausschließlich für sich selbst in Anspruch nehmen wollen. Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, wie die Verbindung von Macht und Besitz entstanden ist? Sie müssten für Raubrittertum am meisten Verständnis haben, das war doch mal Ihr Geschäftsmodell, oder was meinen Sie war der Grund, warum manche immer reicher wurden und es sich leisten konnten, ihren Reichtum gegen den Staat oder irgendeine andere Form von übergeordneter Verwaltung zu schützen? Gut, manche haben ein bisschen gewartet, bis sie ihr Kapital gewinnbringend einsetzen konnten, andere brauchten dazu noch nicht einmal Kapital, Stichwort: Arisierung. Betrifft Sie nicht, Sie haben den ganzen Kram ja nur geerbt.

Wir hatten uns tatsächlich überlegt, ob wir das mit den freiwilligen Steuern ausprobieren sollten, aber dann ist uns gerade noch rechtzeitig das mit dem Klingelbeutel eingefallen. Die einen stecken Knöpfe rein, die anderen beschweren sich, dass sie beim Reingreifen wieder nur einen Knopf erwischt haben. Und dann findet man bei den Leuten eine Menge Geld in den Taschen, die immer erzählen, dass man nur den Reichen die Abgaben erlassen müsste, dann würde die Umverteilung nach unten schon irgendwie hinhauen. Wenn Sie nicht einmal nach gesetzlicher Verpflichtung und unter Zwang die notwendigen Steuern entrichten, warum sollte der Staat Ihnen dann vertrauen?

Ihnen ist kalt? Verständlich, in diesem Land wird einem nichts geschenkt, aber wissen Sie was? Sie dürfen jetzt zu Fuß nach Hause gehen. Und dann wünschen wir Ihnen recht viel Erfolg, denn: Ihre Leistung muss sich für uns ja lohnen!“