Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXXXIX): Armutspopulismus

10 11 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In einer Zeit, die auch nicht in Ordnung war, weil das Wünschen schon damals nicht half, gab es wenigstens böse Geister, Butzemänner, allerhand Nachtgespinst und natürlich den Teufel. Auch wenn man sie ständig sah in vielerlei Gestalt, man musste an sie glauben, um sie für wahr zu halten. Dass der Erzfeind uns dereinst holen würde, daran bestand nun kein Zweifel, allein wie sollte dies in einer glücklicherweise nicht aufgeklärten, dafür dick mit rationalem Anstrich versehener Gesellschaft für die herrschende Klasse funktionieren? Mit Märchen und Schauergeschichten, plumper Ideologie, und doch musste die Bestie in Menschengestalt sich ins Inventar des Kapitalismus einpassen, damit die maximale Wirkung sich entfaltet. So erfanden die konservativen Berufshetzer zum Schutze der hart arbeitenden Bürger außerhalb des Elfenbeinturms den bösartigen Armen.

Der Arme, den jeder nur zu gerne übersehen würde, weil der Impuls doch so tief sitzt, ihm aus Nächstenliebe ein wenig vom eigenen Wohlstand abzugeben, stellt schon deshalb eine Gefahr für die sogenannten Leistungsträger dar – nach heutigem Stand, der die Vollzerstörung der Volkswirtschaften noch nicht ganz durchgespielt hat, sind es die, die sich oft auch nur noch mit Mühe über Wasser halten können, weil anstrengungsloser Reichtum und die Neigung zu spätrömischer Dekadenz ihnen das letzte Hemd rauben wollen. Nicht von ungefähr hat der Populismus in diabolischer Verkehrung den Neid, die wirksamste Waffe im Kampf gegen eine solidarische Gesellschaft, zu einem konsensfähigen Instrument der notwendigen Menschenverachtung entwickelt, auch wenn es offensichtlich allem widerspricht, was sich als Grundfeste von Staat und Gemeinschaft versteht.

Die Chancengleichheit, die der Kapitalist mit einem Lacher durch die Nase kommentiert, oder gar Teilhabe wäre eine gute Voraussetzung zum Erhalt der Demokratie sein, immer vorausgesetzt, es wäre auch im Sinne der Oberschicht. Aber wie jeder gute Populismus setzt auch die Aufwiegelung gegen die Armen auf Projektion, die zusammenschwiemelt, was sich an dumpfer Erfahrung kanalisieren lässt. Die Unterprivilegierten sind immer dann zur Stelle, wenn sie als Buhmann, abschreckendes Beispiel oder moralische Figur benutzt werden sollen. Man empfiehlt ihnen Fleiß und Anstand, die die Eliten selbst am wenigsten besitzen, prangert ihre kleinen Gaunereien aus Not an und lässt großzügig unter den Tisch fallen, was privilegierte Heuschrecken selbst aus Gier der Allgemeinheit wegfressen. Das Geschmeiß, das an jedem Tag wieder die Chance verpasst, die Fresse zu halten, wenn die in Armut gehaltenen Menschen in den Fokus gezerrt werden, sind die Projektionsfläche ihrer eigenen Verfehlung.

Wie lustig das aus einiger Entfernung aussieht, wenn man einen orange angemalten Vollhonk für absurd hält, der Gegnern alle Bosheit unterstellt, die man ihm selbst beweisen kann. Nicht versehentlich bezichtigen die Schreihälse aus der Führungskaste alle im Transferleistungsbezug als arbeitsscheu und verwöhnt, betrügerisch und antisozial, als würde es ihrem eigenen Anspruch als ökonomisch denkende Subjekte widersprechen, das Leistungsmaximum aus dem Staat herauszuleiern, und sei es nur in Gestalt von Steuertricks, mit dem Unterschied, dass sich Politiker im Gegensatz zu Erwerbslosen ihre Steuergesetze nicht selbst schreiben. Würde man die herrschende Klasse in Bausch und Bogen Subventionserschleicher, Nebenerwerbsabzocker und Lobbynutten nennen, die öffentliche Meinung wäre auf Fusionstemperatur. Aber die Armen zu diffamieren ist einfach, weil es geboten ist.

Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als Teilhabe und letztlich Demokratie im Keim zu ersticken, weil es ihnen sonst an den Kragen gehen würde, wenn der Rechtsstaat zu oft ernst machen würde mit der Einebnung ihrer aus Geblütsrecht geschwiemelten Privilegien, die sie wie der Adel für sich Anspruch nehmen, nur weil in grauer Vorzeit eine Arschgeige die umliegenden Burgen dem Erdboden gleich gemacht hatte, um seinen eigenen Besitz zu mehren. Und natürlich schwächt Armut die Sozialsysteme und schwächt jeden Staat, der nie genug Mittel und nie genug Menschen hat, um sie zu bekämpfen, und selten genug Geschmeiß in Amt und Würden, das in die Öffentlichkeit herauskotet, dass die Armen das Volk Unsummen an Steuern und Arbeit kosten würden. Man empfiehlt ihnen Bildung, um in zwei bis drei Generationen aus der Erblichkeit der Armut herauszukommen, und spart folgerichtig an Bildungsangeboten, weil die Armen ja so viel Mittel in Anspruch nehmen würden. Um die Abneigung gegen die Unvermögenden nach Kräften zu schüren, lastet man ihnen folgerichtig das eigene Fehlverhalten an.

Nur in Krisenzeiten griffelt man die Armen an zum Schulterschluss, dann ist der Schwarze schuld, der Jude, der Musel, das fünfbeinige Schaf. Viel einfacher wäre es doch, man würde die korrupte Oberschicht enteignen. Es diente dem Guten, der Wahrheit, sie hätten Chancengleichheit und alle anderen Ordnung. Hol sie ihr Teufel.


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10 11 2023
Umleitung: Gesellschaft als Beute, Judenhass, Yad Vashem, Armut, Flüchtlinge, Cyberangriffe – zoom

[…] Armutspopulismus (Satire): Die Chancengleichheit, die der Kapitalist mit einem Lacher durch die Nase kommentiert, oder gar Teilhabe wäre eine gute Voraussetzung zum Erhalt der Demokratie sein, immer vorausgesetzt, es wäre auch im Sinne der Oberschicht … zynaesthesie […]

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