Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXCI): Antiintellektualismus

24 11 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wenige Ansichten erfreuen sich einer so großen Beliebtheit wie die Meinung, man könne alle Leute für eine gewisse Zeit für dumm verkaufen, einige wenige auf Dauer, aber nicht alle und dauernd. Die Geschichte ist voll mit Gegenbeispielen, und mag man den Begriff der Dauer bei Entwicklungen von Staat und Politik auch kontrovers betrachten, von wenigen und kurzen Pausen abgesehen hat sich der Drang der Menschheit, freiwillig die Verblendung dem aufklärenden Gedanken vorzuziehen, nirgends und nie gelegt. Die Torheit aber nimmt die Masse nur an, wenn man sie ihr als Tugend preist und ihre Stärken den Dummen anrechnet: in einer nicht zu hinterfragenden Tradition zu leben, die gegen die Moderne abgeschottet ist, Angst zu haben vor allem, was fremd ist oder dazu erklärt wird, für eine höhere Idee wie Volk und Vaterland alles kurz und klein zu hauen, was befohlen wird, im Regelfall eben Vaterland und Volk. Zum Urfaschismus, wie er in mehr als einem Punkt sich gerade am Horizont abzeichnet, gehört auch der Antiintellektualismus.

Zu viel Wissen und zu viel Intelligenz machen das Leben der Usupatoren gefährlich, denn auch mit etwas gesundem Verstand lassen sich komplexe Wahrheiten so einfach erklären, wie man Lügen zur Aufrechterhaltung der notwendigen Verschwörung gegen die legitime Macht unter die Leute jubelt. Es mag mit einfacher Ablehnung von Wissenschaft beginnen, wenn eine Orangerübe damit prahlt, den Medizinern eine Pandemie erklärt zu haben, oder sein geistiges Pendant in Sachsen es für klug hält, die Ablehnung von Impfungen aus Angst vor der Zerstörung des Erbguts als legitim zu betrachten, weil es bereits vor dem Krieg so behauptet wurde. Die just in diesen Jahren in Hollywood kultivierte Figur des verrückten Professors, der merkwürdig oft jüdisch anmutende Namen trug, ist ein extremer Fall von populistischer Überzeichnung, während sich die scheinbar sinn- und zweckfreie Kunst und in ihrem Schlepptau auch die Wissenschaft in den stalinistischen Systemen stets zur Unterminierung bereit hielt, damit auch ja der Sozialismus nicht siege. Dabei war doch die Marschroute ebenfalls so klar, man schwiemelt Verleumdungen zusammen, die aus überall erhältlichen Bestandteilen oder fix und fertig vormontiert aus irgendwelchen weisen Protokollen stammten, und schon wusste der brave Mann: Du darfst nur unseren Lügen glauben.

Natürlich hat man im Ostblock alfabetisiert, die Arbeiter und Bauern auf die Hochschulen geschickt für das erntewichtige Studium, nur eben nicht für Kokolores wie Soziologie oder Gottesgelehrtheit. In den Naturwissenschaften mag man vielleicht hinter verschlossenen Türen gehofft haben, dass einem der durchgeknallten Forscher beim Ausbrüten eines neuen Lutschbonbons ein Turnschuh einfiel, der ähnlich aussah, aber nicht ganz so lange hielt. Doch in Ost wie West hielt und hält sich hartnäckig ein Kult der Ignoranz, vielmehr: des Stolzes drauf, als ignorant angesehen zu werden, da die Unwissenheit denselben Wert haben soll wie das Wissen der anderen, oft sogenannter Eliten, was auch mäßig schlecht verklausulierten Antisemitismus darstellt.

Hat sich die AfD am Anfang doch tatsächlich als Professorenpartei aufgetakelt – von Professoren freilich aus der nationalökonomischen Staubschicht des Kaiserreichs, die ein bisschen der Wehrmacht nachgreinen – wollen sie haute auf keinen Fall mehr etwas mit diesen Eliten zu tun haben. Am Ende trifft man da auf eine liberale, weltoffene und pluralistische Denkweise, die mit dem Stacheldraht um den eigenen Schädel nicht gut zurechtkommt, weil noch nicht lange genug gewerbsmäßig lügt. In anderen Extrembereichen, die das Gemeinwesen ausbeuten und die Demokratie beseitigen wollen, ist dieser Doppeldenkprozess längst verankert und wird vom Wähler scheinbar als normale Äußerung von Vernunft und Wille hingenommen, selbst da, wo ein von jeglicher Sachkenntnis ungetrübter Zivilversager, der Haushalte aufstellen kann, die einen Krieg verursachen, aber keinen, der einen Krieg zu verhindern beabsichtigt, vor der Phalanx der internationalen Geophysik tapfer die eigene Bräsigkeit verdrängend seine epischen Anzeichen von klinischer Beklopptheit artikuliert, indem er ihnen rät, den Klimaschutz lieber den Profis zu überlassen.

Nicht das Phantasma des theoretischen Menschen, den Nietzsche in Sokrates verkörpert sah, die ewige Vernünftigkeit bis zur Vernunft, das gottverdammt Wahre und damit zu Tugend und Glück verurteilte Gute ist das Problem, es ist die strikte Ablehnung des Irrationalen gegenüber dem Impuls, der sich leichter zünden lässt in einer kernverdeppten Dummbeutel, die ihre intellektuelle Nahtoderfahrung nicht einmal bemerken und jede Sicht auf die Wirklichkeit mit antrainierter Angst und Aggression beantworten. Dies sind durchaus keine Prozesse, die sich irgendwann und vielleicht fern unserer sicheren Häfen abspielen. Wir haben sie selbst begonnen und gefördert, es wäre recht und billig, ihre Protagonisten aus dem Verkehr zu ziehen. Wir brüsten uns unserer Dummheit, bis wir selbst die Dummen sind. Natürlich wird man uns dafür die Schuld geben. Wie ungerecht.