Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXXXVIII): Toxische Arbeit

3 11 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Natürlich sind Lehrjahre keine Herrenjahre. Der Chef hat immer recht, sonst wäre er ja nicht Chef. Und Arbeit schändet nicht, zumindest nicht die, die sie befehlen. Wer Umsätze erzeugt, Raumpflege, Gesundheitswesen oder Handwerk, profitiert nicht viel davon, was oft als mangelnde Qualifikation gewertet wird; wer Geld verbrennt, befindet sich logischerweise auf der Führungsebene, und wir haben keine Zweifel an der Korrektheit dieses Milchmädcheneinsatzes. Dennoch ordnen wir uns unter, auch in den Bürojobs, auch im Heer der Tretmühlendiener, die ihren 24/7-Familienanschluss genießen. Sie gehen langsam vor die Hunde, und es liegt an toxischer Arbeit.

Der Tag beginnt mit dem Meeting, das zu einer irrelevanten Entscheidung führt, die wiederum zu einem größeren Meeting führt, denn längst wird ein Mitarbeiter vom Chef, Chefchef, und Chefchefchef kontrolliert, die sich gegenseitig absegnen und fürs kollektive Versagen Absolution erteilen. Dabei sondert einer verbalen Bauschaum ab, alle anderen klinken sich aus und daddeln am Endgerät, bis das Geschwiemel vorbei ist. Dasselbe passiert mit Memos, die keiner liest, und Präsentationen, bei denen alle schnarchen, denn der Fisch hat seinen charakteristischen Faulgeruch vom Kopf her: im Management landen Fachidioten, die mehr Kohle dafür bekommen, dass sie ihren Beruf eben nicht mehr ausüben und stattdessen eine Führungsrolle wahrnehmen, für die sie nicht ausgebildet sind. Schon schlägt die Stunde der Unternehmensberater, die für noch mehr Geld den Rest der Belegschaft wegrationalisieren, im Zweifel bleibt ein CEO als Heißluftspender, der den Laden in die Scheiße reitet und dafür den goldenen Handschlag abkriegt.

Was nach perfekter Sabotage aussieht, wie ein Unternehmen ständig umstrukturiert, umgeformt und an Märkten ausgerichtet wird, während man die Kosten der Unzufriedenheit sozialisiert, ist heute Alltag in der Wirtschaft. Die Vision von Freizeit durch Automatisierung und Robotik ist gescheitert, obwohl wir zwei Tage Arbeit pro Woche heute die Person ernähren könnte, aber wir präferieren eine Herde Ameisen an Computern, die sich längst selbst bedienen könnten. Job und Branche: austauschbar, das Ziel ist Leistung als Lebensziel, egal wie. Und so schaffen wir den geistigen Hohlraum für genug Bullshitbeschäftigung.

Nicht nur die Entwicklung des Kapitalismus aus der protestantischen Ethik hat Arbeit in den Rang permanenten Gottesdienstes erhoben, sie ist zur sektenähnlichen Struktur geronnen, in sinnfreien Ritualen sich selbst feiernd, mit einer esoterischen Heilserwartung ausgestattet und letztlich wie jeder andere Psychokult auch doch nur die kollektive Gehirnwäsche zur Umsatzgenerierung für einen Guru, der Zukunft verspricht, noch mehr Kunden, größeres Heil, Synergien, Durchbruch dank neuer Technologie, das Paradies oder was auch immer, um im Endeffekt die Auslöschung des Ich im Nebel der Phrasen zu erzeugen, im Nirwana, oder wie es medizinisch korrekt heißt: Burnout. Der Begriff ist nicht eben zufällig, er meint das Durchbrennen von Verschleißteilen, die für den reibungslosen Ablauf der Maschinerie schnell ersetzt werden. Die Human Resources sind keine Samurai mehr, die sich die Rübe im Krieg gegen Börsengegner leer meditieren, sie sind virtuelle Farbkästchen, in der Bilanz verschoben oder schnell gelöscht.

Was funktioniert, das funktioniert nicht wegen, sondern trotz dieser Strukturen, und damit alles so bleibt, sind alle happy und engagiert. wehe wenn nicht, dann dräut der Motivationscoach. Immer neue Stressqualitäten, mehr Fluktuation in den nächsten Job, alles ist angstbesetzt, der gemeine Arbeitnehmer flieht vor dem Effizienzzwang in die Entpersonalisierung – sein Leben ist ein Ballerspiel, nur ist er selbst im Fadenkreuz. Die Suche nach den Superstars im Druckbehälter gibt genau wie in der Außenwelt den Verlierern die Schuld, dass nur einer gewinnen kann.

Marx hatte recht, die Entfremdung hat obsiegt, als surreale Inszenierung von Selbstverarschung. Was wie ein Zirkus der Dümmlichkeiten aussieht, ist ein Menschenverschwendungsapparat. Zwischen den Engagierten und den Depressiven stecken die Unbeteiligten, deren Fehlen nie auffallen würde, während sie prämortal auf dem Fluss treiben in Richtung Ausguss. Die Infantilisierung der Massen bei gleichzeitiger Zerstörung aller zivilisatorischer Werte ist zur Normalform geworden, denn jeder weiß, dass es schief läuft, aber man hält es für das unangreifbare System, das seine Kosten bei den Individuen eintreibt für Tischkicker und Obstkorb. Es fehlt an Mut, aber es fehlt an Mut für Brandsätze und einen Ausweg in die Wirklichkeit, in der die irrealistischen Ziele wie Wachstum durch Profit und Profit durch ewiges Wachstum dank der Anbetung exponentieller Zahlenspielereien fallen. Aber nichts spricht dafür. Nicht der Sinn ging verloren, die Sinnlosigkeit wurde gefunden, ein Patentrezept für die Sinnlosigkeit und eine Welt, in der Arbeit als Gegensatz zum Leben gefeiert wird. Wir aber sind erstaunt, wenn niemand mehr arbeiten will. Wozu, möchte man fragen.