Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXIV): Kipppunkte

19 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wann immer es irgendwo regnet oder Vulkane ausbrechen, scheint die Natur ihre Arbeit nicht richtig gemacht zu haben. Jedenfalls scheint es den Aposteln der Unterkomplexität so, als sei etwas aus dem Ruder gelaufen, was aber hoffentlich den Lauf der Dinge nur kurzfristig beeinflusst und auch dies nur innerhalb des eigenen Horizonts, so begrenzt er auch sein mag. Wo schon Realitätsallergie solchen Ausmaßes weitreichendes Handeln bestimmt, weil kein nennenswertes Denken dazwischen stattfindet, wie werden wir die akuten globalen Veränderungen bewältigen, wenn bigotte Kompetenzimitatoren an den Hebeln der Macht hocken, um nicht einmal die untrüglichen Anzeichen einer Katastrophe zu sehen, die kommenden Kipppunkte?

Was die Politikdarsteller angeht, ein greifbares Beispiel sollten sie aus ihrem ureigensten Habitat kennen: die Kirmeshöllenmaschine, die anschaulich demonstriert, was ein paar hampelnde Hebel mit lockeren Schrauben bei immer schnellerem Kurbeln auslösen, bis sich das ganze Geraffel unter Staunen und Geplärr in seine Einzelteile zerlegt. Ein leichtes Wippen verstärkt sich, wie auch das Mikrofon des Karussellwärters rückkoppelnd über den Rummel kreischt und die Trommelfelle trifft. Einmal die Wurstfinger am falschen Knopf, schon brennt die Bude. Was an Dynamik um uns herum passiert, ist ein stetiges Schwanken um Mittelwerte, wie das Gewicht auf der Körperwaage ein Kilo mehr oder weniger bei normaler Lebensweise schwankt – der Mittelwert kann dabei durchaus gleich bleiben, die Werte aber erheblich differieren, was ein Anzeichen erheblicher Fehlernährung ist wie wochenweise Fasten und Wettfressen.

Was wir gerade in der Biosphäre erleben, ist die planmäßige Zerstörung von Flora und Fauna durch sich selbst, getriggert durch epische Dämlichkeit in Gestalt des Hominiden. Trotzig schwiemelt sich der gemeine Dummbeutel die Erklärung zurecht, dass Insektenmangel höchstens zu weniger Futter für die Gartenvögel führt, was auch den positiven Effekt hätte, dass er dann endlich jeden Tag den Rasen mähen dürfte. Der Kipppunkt, der an nie wieder zu erreichender Bestäubung für Nutzpflanzen sichtbar wird, zu massiven Ernteausfällen, Hunger und Tod für Millionen Menschen, er wird eben erst sichtbar, wenn die Sache nicht mehr zu beeinflussen ist wie in Chinas Spatzenkrieg, der fast zur Ausrottung der kompletten Landwirtschaft führte, statt die Erträge zu maximieren. Selbst das rein mechanistische Weltverständnis alter weißer Männer beschränkt sich auf technische Nutzbarkeit von Materie, die sie als Physikversager schnell an die Wissenschaft abgeschoben haben, um sich nicht mit Dingen zu beschäftigen, von denen sie nichts verstehen.

Nicht einmal die Marktwirtschaft, die von ihren Erfindern als stabilste Repräsentanz menschlicher Werte angebetet wird, kommt ohne Blähbäuche aus, die sich dann regelmäßig in Heißluft entladen, weil andere zivilisatorische Errungenschaften wie Krieg oder Revolutionen auf demselben Planeten ihre Wirkung zeitigen. Das kann die als natürlich bis gottgewollt definierten Schwankungen zwischen Aufschwung und Rezession gewaltig ins Trudeln bringen, für Tote sorgen oder, schlimmer, für labile Börsenkurse. Betrüger nutzen die bis in Ewigkeit denkbare Selbstverstärkung aus, ködern mit einem Schneeballsystem – gewöhnlich im legalen Gewand des Strukturvertriebs – und jagen den Mythos von der Unzerstörbarkeit des Kapitalismus in die Luft. Ewiges Wachstum in einem geschlossenen System ist schwer möglich. So funktioniert nur Krebs.

Wenn schon das Erkennen schwer wird, wo sich die Grenzwerte befinden und wie sie immer weiter überschritten werden, stellt sich Systemblindheit ein, erst recht ohne die Einsicht, dass Biodiversität, Wasserversorgung, fossile Emission und sämtliche klimatischen Veränderungen die Grundlage unserer Zivilisation über die Klinge springen lassen durch ein sich selbst aufschaukelndes Boot, das dann auch noch gleich seinen eigenen Orkan erzeugt. Wir ignorieren der Tendenz zu stetig anwachsenden Extremen, die dann nicht mehr als Starkregen oder sinkende Flusspegel, sondern als Überflutung und dauernder Dürre zeigen: der Kipppunkt kam wie zu erwarten unerwartet, er lag in der Vergangenheit, die Folgen sind nicht absehbar.

Wir können den Abgesang anstimmen, denn was sonst innerhalb von Jahrtausenden passieren würde, wird wohl innerhalb von Jahrzehnten stattfinden, wenn ein größerer Teil der Verantwortlichen längst Biomasse ist, alle es vorher gewusst haben werden und genau wissen, dass nur die ewigen Nörgler schuld waren, weil sie wegen dieser verschissenen Naturgesetze keine Wundertechnologie erfinden wollten. Jede Katastrophe, die uns in naher Zukunft droht, wird als Resultat eines Kipppunktes oder mehrerer ein Kindergeburtstag sein im Vergleich mit den Verheerungen, die wir billigend in Kauf nehmen, damit ein paar asoziale Arschgeigen mit dreihundert Sachen in den Sonnenuntergang rasen können. Auch wenn es nur so aussieht, weil es sich in Wirklichkeit um einen Waldbrand handelt. Aber hundert Kilometer steht gerade eine Großstadt unter Wasser. Wahlen gewinnt man nun mal in der Mitte.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DLX): Verhandeln mit der Natur

16 04 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In den alten Erzählungen schien es geholfen zu haben, wenn der Schamane seinen Speer schüttelte und die Wetterdämonen lange genug anbrüllte. Man berichtete von wahren Wundern: Regen kam auf Befehl, der Sturm ließ nach, die Buntbeeren blühten termingerecht. Die saisonale Schneeschmelze im Hochgebirge schien das wenig zu beeindrucken, in jedem Jahr kam mehr Wasser den Abhang herab, durchnässte das Tal an der westlichen Felswand und ließ die eine oder andere Höhle absaufen. Die in gemeinsamer Abstimmung beschlossenen Opfer von Feldfrucht und Jagd halfen nicht, auch eine kunstvoll aus einem Baumstamm getriebene Figur des Vegetationsgeistes blieb wirkungslos. Der von der Natur ausgehenden Kraftentfaltung waren die Hominiden schlicht egal. Jede Verhandlung mit ihnen war schlicht vergeudete Zeit.

Andere Völker, die sich bereits in arbeitsteiliger Gesellschaft an der Umwelt vergangen hatten, sahen sich mit denselben Ergebnissen konfrontiert. Die Hybris des Menschen, sich scheinbar über die Grundlagen der Biologie, der Physik und Chemie hinwegsetzen zu können, da eine Generation nicht lange genug lebte, um die Rechnung für den ganzen Murks präsentiert zu bekommen, ermutigte ihn zu nur noch mehr dümmlicher Zerstörung. Kulturen löschten durch kunstvoll herbeigeführten Mangel an Wasser und Nährstoffen sich selbst aus, so dass nur noch imposante Architektur von der maßlosen Ichbezogenheit ihrer Erbauer irgendwo in dichten Urwäldern zeugt. Die Maya verstanden es trefflich, die durch Krieg und Überbevölkerung aus dem Ruder geratene Bevölkerungspolitik durch Raubbau an den Ressourcen und eine geradezu klassischen Fehlallokation der Maisernte verhungern zu lassen. Wie viele zuvor ernährten sie ein paar ohnehin Reiche, die zu spät den Ernst der Lage einsahen.

Nichts davon ist neu, nichts davon hat in einem globalen Maßstab stattgefunden oder in der heute zu beobachtenden Geschwindigkeit, nichts davon war zuvor das Business der vor sich hin popelnden Politkaste, die auch schon den Generationswechsel im Hinterkopf hat – noch dreimal Wiederwahl, dann sind die Schäfchen sowieso im Trockenen – oder sich ein Häuschen auf dem Berg leisten kann, wenn der Meeresspiegel steigt. Es ist, als würden die Minions der Existenzverwaltung auch schon aus Sperrholz Götzenbilder schwiemeln, um überhaupt irgendetwas zum Vorzeigen zu haben, auch wenn es nicht hilft. Der Kipppunkt, der das endgültige Tauen der Permafrostböden anzeigt, lässt sich nicht durch drei Grad mehr, zwei Grad mehr, ein Grad mehr verwirren. Die Natur würfelt nicht – für die Vertreter des theistischen Weltbildes eine groteske Verkehrung ihrer eigenen Überzeugungen, aber was erwartet man auch von Wahlbeamten, die Beten als Entscheidungsersatz klassifizieren – und verzichtet auf die bigotte Bizarrerie solcher Denkmodelle. Sie mag in ihrer Wirkweise erschreckend komplex erscheinen, beruhigt aber immer noch durch das Versprechen, dass jede Handlung Folgen hat. Wenn es auch nicht immer die gewünschten sind.

So nimmt es auch nicht wunder, wenn glitschige Provinzfürsten angesichts abhebender Zahlen erst dann exponentielles Wachstum wahrnehmen wollen, wenn es den Rest der bräsigen Mannschaft unter sich begräbt. Auch im Umgang mit einer medizinischen Bedrohung schieben sich geistige Heckenpenner lustig einen Deal nach dem anderen zu in der Hoffnung, vielleicht die Größe der nahen Katastrophe noch ein bisschen wegzufiltern – als würde einen auf dem langsam wegsackenden Deck der Titanic der einsetzende Nieselregen stören. Das politische oder technische Handwerk ist nur die Jonglage mit Wahrscheinlichkeitswerten. Lustig Qualm in die Atmosphäre zu pusten, obwohl die Reaktionen aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht bekannt sein dürften, Plastikschredder in die Meere zu leiten, atomaren Müll in Salzstöcke zu füllen, die sich innerhalb der vorgesehenen Zeit während der Endlagerung mehrmals heben und senken werden, ist kein Glücksspiel, sondern der untaugliche Versuch, mit magischem Denken ein immenses System aufhalten zu wollen, als würde man gegen ein ganzes Gewitter nur einen Schirm aufspannen müssen.

Letztlich hilft nur noch Mythenbildung beim Aufschub der Folgen. Irgendwer muss Schuld sein am Erdrutsch, irgendeinen muss der Volkszorn ja treffen. Die mesoamerikanischen Reiche hatten stets einen bösen Feind in der Hinterhand, den man für Rache, Reichtum oder eine Gottheit bestrafen konnte. Gegen den Klimawandel hilft es, die jugendlichen Protestierer als linke Spinner auf dem Kreuzzug gegen den kapitalistischen Wohlstand zu diffamieren. Früher oder später schlägt man in der Realität auf. Immerhin wissen wir jetzt, dass wir von Berufsirren geführt werden, denen es um die kurzfristige Erledigung eines Jobs geht: sich aus jeder Verantwortung rauszuhalten. Bestimmt sind sie in der Lage, die Botschaften der Natur zu hören. Was auch immer man hört, wenn man die falschen Pilze einwirft.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DXXXII): Die wissenschaftliche Sprachbarriere

18 09 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Eines schönen Tages, der so finster gar nicht war, wie man sich heute das Mittelalter vorstellt, da schlug Meister Godehard seinem Lehrjungen auf die Schulter und machte ihn mit der wichtigsten Weisheit des Gewerks vertraut, das bis auf unsere Tage seine Gültigkeit besitzt: querstiebige Wunzen immer schöllig abknörzen, weil sonst die Raufen sich verhuddern. Seither haben wir die Kernkraft entdeckt, sind zum Mond geflogen, bestellen Obst und Fahrräder im Internet, sehen ein paar Deppen dabei zu, wie sie hauptberuflich mit Autos immer im Kreis herumfahren, und kippen unseren Müll ins Meer. All dies geschieht aus tiefem Unverstand, da wir die Zusammenhänge des Lebens nicht recht kapieren. Doch kein kluger Mann, kein Handwerker und keine Professorin, würde aus heiterem Übermut je auch nur eine querstiebige Wunze nach Gefühl und Wellenschlag abknörzen. Die Folgen wären immens, nicht sofort ersichtlich, mittelbar aber katastrophal. Wie viel Jammer, Pein und Ungemach ließe sich verhindern, würden wir die klaren Worte der geistigen Vorbilder für Gelehrtheit halten, statt ihnen Simpelei zu unterstellen? Sind wir nicht alle Opfer der wissenschaftlichen Sprachbarriere?

Wo immer Fachleute sich auf einem Haufen befinden, müssen sie sich über die wichtigsten Dinge auf diesem Planeten unterhalten. Erst durch eine lebhafte Diskussion, dass das Geräusch dem gehört, der das Federwild aufbricht, wird die an sich selbstverständliche Regelung vom Waidmann zum anderen nochmals bekräftigt – regelmäßig, wie der Jurist anmerkt, da es überdies billig ist. Der Heizungsbauer denkt sich seins, während Koch und Coiffeur um die Wette blondieren, der Bergmann eine Pfeife bohrt. Nichts ist für den Zusammenhalt in der Gruppe besser als gemeinsames Vokabular, das Sinn stiftet und bisweilen die Zaungäste, die mitreden wollen, es aber nicht können, ausschließt. Außerdem würde es dem Arzt maximal auf die Plomben gehen, statt ‚Hypovolämischer Schock‘ jedes Mal eine Kurzgeschichte zu erzählen, damit die Pfleger wissen, ob es sich noch lohnt, die Ärmel hochzukrempeln. Die Sprache ist eine Übereinkunft synchron tickender Individuen, die sich die Welt ein bisschen einfacher machen wollen, etwas genauer und nicht ganz so unsicher. Ein wesentlicher Prozess der Wissensdifferenzierung besteht darin, unterschiedliche Sachverhalte mit unterschiedlichen Begriffen zu benennen, auch wenn die Alltagssprache regelmäßig die juristische Regelmäßigkeit verkennt. Sie stellt ein Modell her, mit dem sich die Welt erkennen und beschreiben lässt, und sei sie noch so theoretisch.

Der Zwang gewisser Kommunikationslurche jedoch, möglichst verworrenen Schmodder zur Verdeckung von Nullinformation in die Gegend zu schreiben, ist nicht neu und hält an. Wen würde es wundern, beschlösse irgendwann eine ganze Generation, eine Wissenschaftsdisziplin mit voller Ignoranz in die Endablagerung zu befördern, weil ihr zum Mysterium aufgeblasenes weißes Rauschen jeden Versuch im Keim erstickt, sich ernsthaft damit zu beschäftigen? Ist dann der Zweck dieser Beschäftigung mit intellektuell niederschwelligen Angeboten auf einem künstlich hochgeziegelten Niveau nur das Bedienen der Heißluftposaune, um sich selbst unfassbar klug zu fühlen? Jahrhunderte haben die großen Denker um Klarheit gerungen, in den Gräben des Geistes dümpeln lediglich trübe Tümpel vor sich hin. Die Unverständlichkeit wird zum Fetisch, wo sie umgekehrt proportional zum Erkenntnisgewinn der Schwurbelei nur ein Fiepen aus dem Bedeutungsnirwana liefert.

Der Verdacht erhärtet sich zusehends, dass gewisse Disziplinen wie die Soziologie nur dazu erfunden wurden, damit man eine verschwiemelte Terminologie überhaupt verwenden könne, denn wer sonst hätte für den verbalen Bauschaum in flamboyantem Gepränge noch Verwendung als ein Pausenclown, der hysterisch sein Spiegelbild anbalzt. Größtmögliches Getöse liefern sonst nur die heideggernden Hilfshegel, die sich in ihrer Welt als Wille und Zwangsvorstellung heillos verkanten. Wozu auch immer diese Protzbrocken sich ein Rangabzeichen an die eigene Brust tackern, sie erweisen der Suche nach Wahrheit einen Bärendienst. Wie das Sozialgerümpel langfristig als Intelligenzsimulation durchgeht, interessiert nur die im luftleeren Raum, die sich nicht mit anderen Personen abgeben, weil es ihnen objektiver scheint. So wird nun also geworfene Dunkelheit des Soseins im Gewese des Dinglichen ein Ist-Status, dessen sich vorweg befindlicher Entwurf als Eigentlichkeit des Weltbezugs vorweg ist, je nach Vorlauf auch im Gegenteil oder mit Blümchen. Schlimm wird es nicht, wenn einer der Heißluftschlümpfe es nicht durchdringt, richtig schlimm wird es, wenn einer von ihnen vorgibt, den Müll zu verstehen. Mehr Schaden wird nie sein, als wenn Scheinriesen auf den Schultern von Zwergen herumstelzen. Man soll querstiebige Wunzen immer schöllig abknörzen, weil sonst die Raufen sich verhuddern. Mehr reine Hermeneutik geht nicht. Der Rest ist hoffentlich Schweigen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCIV): Wissenschaftseliten

25 02 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Problem hielt seinen Einzug mit den ersten experimentellen Verhaltensweisen der Hominiden. Würde Ngg wie seine Vorfahren vom Mammut zermarmelt, bekämen Mbrr und seine Brüder die Art von Krämpfen, die der lustige rote Pilz bereits bei Klk und seinen Söhnen ausgelöst hatte? Nach und nach entwickelte die Horde von Blödblunzen das Rad, den mechanischen Webstuhl, die Kernschmelze und jene Art von Tiefkühlkost, die den Untergang dieses Planeten im kosmischen Zusammenhang eher wünschenswert erscheinen ließe, allein die Stellung des Wissenden unterlag diversen Änderungen in Richtung Niveauverlust, erst vom Wissenschaftler zum Beamten, dann vom Beamten zum Verwalter, inzwischen zur Randfigur einer Horde, die mit ihrem Namen nicht mehr zu tun hat: zum Pausenclown der Wissenschaftseliten.

Die Alma Mater als Findungsort komplexer Wirk- und Wirklichkeitszusammenhänge war in Paris, Padua und Oxford noch von Anflügen der gesamtgesellschaftlichen Verkalkung frei, da sie sich um keine intellektuell niederschwelligen Angebote aus politischer oder ökonomischer Kaste kümmern musste. Wer sich mit Philosophie oder Algebra befasste, hatte immerhin den Vorzug, zur internationalen Führungsschicht zu gehören, die auf Ländergrenzen herabschaute, auf Fürsten und ähnliches Wichtigkeitsimitat, ja auf die Kirche, die außer Glücksspiel, hektischer Bautätigkeit und einer latenten Neigung zu alberner Oberbekleidung nicht viel Interesse am Diesseits zeigte. Die Universität eroberte sich den Freiraum des Denkens und verteidigte ihn bis in die Zeit der Aufklärung, als die ersten Kalkhirn des Absolutismus die Bühne betraten. Und schon zeigte sich der Ansatz bei den Weichstaplern der Fürstenhöfe: eine Rotte vielseitig ungebildeter Pädagogen sollten in den freien Städten der Jugend Wissen in die Schädel pfropfen, um ein Renommierobjekt gegen die Hochschulen zu besitzen. Tatsächlich freies Wissen, nach klassischem Kanon geordnet, braucht der Bekloppte der verstaatlichten Gesellschaft nicht mehr, er bildet lieber die Wurstlutscher der von Inzucht und Müßiggang vorverdeppten Adelsschicht zu Juristen aus – keiner braucht sie, aber zum hauptberuflichen Topfblumenumschmeißer hätte der Glibber unterm Schädeldach eben nicht ganz gelangt. Wie dies Zeitalter mit Leibeigenschaft, Sklavenarbeit und Folter eine Menge schöner Dinge allein für die aufgehoben hat, die keine Steuern zahlen.

Der spätmoderne Wissenschaftsbetrieb, jene obskure Ansammlung von Drittmittelverbrätern und Dumpfdüsen, schließt an diese Tage nahtlos an. Zwar haben wir festgestellt, dass sich Astrologie und Astronomie kaum in ein gemeinsames Konzept schwiemeln lassen, aber die persönlichen Vorlieben geistig zu Gestrüpp entarteter Landesfürsten in Form etwa Homöopathielehrstühlen lassen sich als Pickel in der Hochschullandschaft deutlich sehen. Soziale Zusammenrottungen, die als Wahlvereine fungieren, sind die Trägersubstanz für jenen Wurmwuchs, der bereitwillig der Finanzwelt ein paar Spaßprofessuren und Hobbydoktorate zum Spielen gibt. Wissenschaft ist im engeren Sinne nur noch das Experimentierfeld für ausgesuchtes Personal, das für die Pharmafiosi Pillen schwiemelt, der Atomlobby kostengünstig Entsorgungsarbeiten abnimmt oder preiseffiziente Chemiewaffen ausheckt. Wer sich durch störende Intelligenz auszeichnet, Soziologie oder Pädagogik betreibt oder die Rituale byzantinischer Prägung im neueren universitären Betrieb einzudämmen versucht, die voodoogesteuerte Denkschule der Postdemokratie, hat in diesem Wunderkindergarten nichts zu suchen, zumal es sich bei den als Exzellenzcluster titulierten Hämorrhoidalerscheinungen der Bildungsferne meist um Juristen, Betriebswirte oder Politologen handelt, auch nicht einmal im weitesten Sinne wissenschaftsfähiges Gesocks, das Steuergelder schluckt und sich in der Schlange um Hirnspenden vordrängelt.

Die vom ehernen Grundgesetz der Beharrung im Nichtbeweglichen geprägte Hochschule rülpst Mittelmaß hervor, mühsam examinierte Volltrottel mit chronischem IQ-Schwund, die ein auswendig gelerntes Einmaleins für ausreichend erachten, sich als Privilegierte zu sehen – ein paar Semester haben sie sich an Trivialmüll abgekaspert, den vor 50 Jahren jeder Hiwi als Beleidigung betrachtet hätte, sie haben Scheinergebnisse zusammengefummelt aus vorgekautem Brei, Forschen nach Zahlen, und sind nun froh, wenn sie den Durchlauferhitzer der Kollateralmaden überstanden haben. Inszenierung ist alles, und damit sich diese Häkelkreise auch ja nicht von kritischen Wissenschaftlern ablösen lassen, werden sie umgehend wieder in den Lehrbetrieb eingespeist, um die künftige Generation der Synapsenverklebten zu geben, die seit Bologna nur noch den Namen gemein hat mit den Bildungsstätten vergangener Jahrhunderte. Eine Klasse politischer Bettnässer ist noch stolz darauf, sich selbst ein tiefes Grab zu schaufeln, perfekte Problemverdränger mit erwiesener Meisterschaft im substanzfreien Denken, die geklautes Tafelsilber verscherbeln, um sich selbst als Edelprodukt zu definieren. Sogar das Leistungsprinzip, von den neoliberalen Nachtjacken permanent ausgebrochene Losung, wird mit Macht in die Tonne getreten, denn wer würde sich noch für den universitären Betrieb anstrengen, wenn stinkend faule Vorzugsschüler überall an die Freitische geladen werden? Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Beknacktheit war ein guter Ansatz zur Erleuchtung. Inzwischen haben die Bildungskasper ausgeknobelt, wer das Licht wieder ausknipsen darf. Warten wir ab, wer im Dunkeln worüber stolpert.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXV): Experten

27 11 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die großen Gestalten der Gymnasialzeit, wer würde sie heute ohne den wohligen Rückenschauer sehen, welche dem durchschnittlichen Deppen ihre Gelehrsamkeit über den Rücken jagt: Leibniz, Leonardo, as-Suyūtī, die Polyhistoren ihrer Zeit, als der Schulabschluss zwar noch nicht flächendeckend verbreitet war, aber im Falle seiner Anwesenheit durchaus die Spreu vom Weizen trennte. Viel billiger Fusel sickerte seither in studierende Hirne, die Wissenschaften wurden erfunden und zerstritten sich – wer heute Fixsterne auf universitärem Niveau auseinanderhalten können will, sollte besser darauf verzichten, Geburtshoroskope für die Kollegen zu basteln – und zeugten Mathematik, Soziologie und das Fachidiotentum, in dem ein paar Idioten vom Fach über immer weniger immer mehr zu wissen vortäuschen, bis sie schließlich alles über nichts mehr wissen. Es kroch hervor der Experte.

Blödmänner, die eine Drehleiter bräuchten, um Einstein an den Knöchel zu pinkeln, glotzen dumpf aus der Mattscheibe und erklären stammelnd, wie ein Atomkraftwerk funktioniert. Bauchbinden und Briefköpfe titulieren alte Männer mit miserabel gebundenen Krawatten zur besten Sendezeit als Experten für Festkörperphysik, die alles, aber auch alles erklären können, ausgenommen Fahrräder, Konservendosen sowie gewisse Sexualpraktiken, die zum Widerwärtigsten gehören, was Westfalen je erdacht hat. Mit ihrer Deutungshoheit werden auch arische Physik oder Kreationismus fernsehtauglich abgesegnet – die Schnapsidee trägt ihren Adel vor sich her, sobald ein Experte die Gesichtsimitation dafür hergibt.

Experten sind schnell in die Welt gesetzt. Es reicht, wenn der abgebrochene Jurist, der eigentlich hätte Klempner werden sollen, mit einer Halma-Ausrüstung abgelichtet wird, um im Folgejahr als Killerspiel-Experte die Massenmedien mit seinen Ergüssen über Gruppenprozesse zu verstopfen, während ihn der Moderator – eigentlich der Gehilfe des Mülleimerleerers, aber zur rechten Zeit in Mainz mit einem Parteibuch ausgezeichnet – mit dem Dinosaurierspezialisten verwechselt und ihn als Swasilands bislang unbekanntesten Trompeter ankündigt. Als Kapazität zählt, wer nicht auf den ersten Blick dümmer ist als eine Tüte Sägemehl. Jeder Sender, jedes Anzeigenblatt, jeder als Partei verkleidete Steuerhinterziehungsverein hält sich inzwischen ein Rudel Koryphäen, das als Terrorexperten erratische Satzmuster in den Äther schwiemeln darf. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Denn der Experte an sich ist zu schnell aus fertig angelieferten Zutaten zusammengeklatscht. Bedeutungszusammenhänge sind ihm so fremd wie die Latten am Zaun: was nicht passt, wird passend gemacht. So schwallt das kognitiv angestrengte Hohlmaterial krude Mixturen grenzdebilen Gefasels in die Birne des Bekloppten, um ihm das Nachplappern zu erleichtern, und so greift das Bildungsideal der Jetztzeit um sich wie ein Junkie in der Krankenhausapotheke: jeder kann alles wissen. In zwölf leicht fasslichen Lektionen von der Nulldiät für Gehirnfresser zum Thermodynamiker der Zukunft. Eben noch Jammerlappen ohne Hausaufgaben, nach Genuss von zehn Minuten Wikipedia Grundsatzkommissionäre für Wirtschaftsfragen, wenn die Behämmerten fragen, sind sie zur Stelle: international gefragte Könner der Heißluftdistribution, Keuchkünstler und Hechelheroen, Professoren und Minister, Institutsleiter und Schnittbroterfinder, denen nur im Moment die Gebrauchsanweisung zum Einatmen entfallen war. Nirgends werden Versager derart schnell mit akademischen Abschlüssen behängt wie im Expertentum – die Visitenkarte, die nicht mit einem überflüssigen Doppeldoktor in angewandter Verdummungswissenschaft aufwartet, muss erst noch aus dem Automaten gezogen werden. Allenfalls da, wo die Bescheuerten unter sich sind, an den Stammtischen und in Internetforen, gerne unter gleich gelagertem Inkarnationsmaterial, gelangt der Doofe schneller zu Amt und Würden. Und keine Sau merkt’s.

Mittlerweile wehrt sich eine Volksbewegung gegen die Expertenbrut; weder dem Bundeskabinett noch den Wirtschaftsweisen wagt sich einer in die Quere, nicht einmal mit einem Beratervertrag wird das Bildungsprekariat noch ausgestattet, wenn er den Denkstil seiner Aussichtsplattform auf dem Elfenbeinturm breit walzt. Und schon begreift die Masse der Grützbirnen ihr Scheitern wiederum als Chance und verkrümelt sich in ad hoc gegründete Interessenverbände, die mit imposanten Gremien und ständigen Forschungsstäben den Trotteln der Nation neue Wichtigkeit verleiht. Nationale Faselvereinigung zur Förderung des Dummschnacks – staatstragender geht es nicht, und so hört es sich in den Abendnachrichten auch an. Erfreuen wir uns der Knalltüten, auch sie haben historische Vorbilder, ebenjene, die mit wissenschaftlichem Anspruch die Existenz von Hexen nachwiesen und ihre Flugkünste erklärten. Was braucht man mehr, um dieser Gesellschaft ein nützliches Mitglied zu sein.





Schöner Shoppen

3 09 2009

Ausgerechnet heute musste mir das passieren, wo sowieso wenig Zeit blieb. Kurbel hin, Passiermühle hin, Kartoffelteig hin – Knockout für die Gnocchi. Die Aussicht, ein ganzes Pfund Kartoffeln mit der Gabel auf dem Teller zu zermusen, hob meine Stimmung nur unwesentlich. Ich erledigte die Arbeit, quetschte mir nur zweimal den Daumen und beschloss dann, eine neue Lotte in die Küchenflotte zu integrieren. Haushaltswaren Birnstiel & Söhne gibt es schon lange nicht mehr, nur noch ein schwacher Abglanz alter Herrlichkeit ist in der Abteilung des City-Kaufhauses zu finden. Ich hin.

Das Heer des elektrischen Küchenschamotts gleich großräumig umsegelnd landete ich an der Küste des Kleingeräts an. Töpfe, Pfannen und Salatschleudern buhlten um Aufmerksamkeit, hie und da ragte ein einsamer Messerblock aus den Niederungen des Schneidwerkzeugs. Menschenleer schien die ganze Abteilung, doch plötzlich lugte eine hoch aufgeschossene, dürre Gestalt zwischen Sauteusen und Kasserollen hervor. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“ Ihr Blick irritierte mich. Diese Verkäuferin schien mit beiden Augen gleichzeitig an mir vorbei zu schielen. „Ich möchte“, sprach ich zu ihrem linken Auge, „ein Passiergerät.“ Sie wackelte ein wenig mit dem Kopf, so dass ich wohl in ihr Gesichtsfeld gerückt sein musste. „Was ist das denn?“ „Eine Passiermühle“, gab ich mit gereiztem Unterton zurück, „Flotte Lotte, Passevite, Passetout, eine Gemüsemühle. Oben Kurbel, unten Sieb.“ Leer blickte sie um mich herum. Ob ich ein Opfer der Lichtstrahlenbiegung war und sie bereits so um mich herumschielte, dass sie mich gar nicht mehr wahrnahm? Sie griff aufs Geratewohl in die Stellage und zeigte mir einen Schlitzwender.

„Wenn ich mich vorstellen darf, Süßschwager mein Name. Ich bin hier der Personalchef.“ Das kleine Männchen mit der großen Brille schaute freundlich zu mir herauf. „Sie haben sicher schon unser neues Marketing-Konzept bemerkt?“ Welches neue Konzept? „Nun, wir setzen unser Personal nach wissenschaftlichen Kriterien ein. Streng an neuesten psychologischen Erkenntnissen orientiert. Fühlen Sie sich gut beraten?“ „Wenn Ihr Konzept darin besteht“, sagte ich mokant, „dass Ihr Personal vollkommen ahnungslos ist, dann scheint Ihr Plan aufzugehen.“ „Aber nein“, beschwichtigte der Personaler, „das ist es ja gar nicht. Frau Hülzke hilft nur aus, sie ist sonst in der Parfümerieabteilung.“ Aber was war es dann? „Sieht sie nicht wie die ideale Verkäuferin aus?“

Hinter uns räumte eine dickliche Matrone die Regale mit einem Parmesanreiben-Sonderangebot voll. Sie stapfte wie ein Matrose auf schwerer See durch die Gänge und wälzte sich hinter die Kasse. Was hatte das alles zu bedeuten? „Die University of South Australia hat jüngst eine Studie veröffentlicht, der zufolge hübsche Verkäuferinnen den Umsatz gefährden. Also haben wir das Personal entsprechend umstrukturiert.“ „Sie meinen also ernsthaft, dass die attraktiven Damen in Ihrem Küchenkram von den chromblitzenden Pfannen ablenken?“ „Nicht ablenken“, korrigierte mich Süßschwager, „nicht das Sortiment ist der springende Punkt. Es sind die Kundinnen.“ Die Kundinnen? „Jawohl, die Kundinnen. Es ist jetzt wissenschaftlich erwiesen, dass zu schöne Verkäuferinnen, insbesondere solche, die zu gut aussehen, in anderen Frauen das Gefühl der Konkurrenz erwecken. Das ist eine biologische Tatsache! Die Kaufbereitschaft sinkt erheblich, und das ist völlig unabhängig von der Ware, die wir anbieten.“ „Und deshalb haben Sie jetzt die Haushaltswaren nur noch mit Schreckschrauben besetzt?“ „Genau. Wir haben bei den frauenaffinen Sortimenten begonnen. Haushaltswaren, Kosmetik und Damenoberbekleidung. Auch Spielwaren ist gerade bei der Umstellung. An den Kindermoden knobeln wir noch.“

Jetzt fiel mir auch auf, dass Isabella gar nicht mehr hier war. Das schwarzäugige Halbblut mit den schwer bezähmbaren Locken hatte doch den einen oder anderen Lichtblick geboten zwischen Schaumkellen und Schneebesen. „Wir haben alles versucht“, jammerte Süßschwager, „Frau Regazzoni hat sich zum Schluss nur noch von Schmierkäse und Schokolade ernährt, um wenigstens Pickel im Gesicht zu bekommen. Aber es war alles umsonst.“ Sie würden doch diese Schönheit nicht herausgetan haben aus dem Geschäft? Immerhin hatte ich bei ihr regelmäßig Teigschaber, Servierpfännchen und zuletzt einen Keramikwetzstab erworben, von den unzähligen Backpinseln ganz zu schweigen. Sie hatte mein Selbstbewusstsein nicht im Geringsten geschmälert. Keine konnte wie sie einen Pürierstab in Packpapier wickeln. „Natürlich konnten wir keine entlassen. Schauen Sie doch mal ins Untergeschoss. Da finden Sie alle wieder.“

Und wirklich, da waren sie. Die elegante Frau Kinkelskirch mit dem hüftbetonten Gang und Irene Wemser, deren erotisierendes Lispeln zuvor die Spielwarenabteilung verzaubert hatte. Hinter der Kasse aber thronte Isabella und warf einen verführerischen Blick zu mir herüber. So also funktionierte heute Marketing – wissenschaftlich fundierte Verkaufspsychologie war der Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg. Nur damit war der Einzelhandel in diesem Land noch vor dem Untergang zu bewahren. Aber so weit ich auch schaute, kein Passiergerät. Nichts. Allerdings war damit auch nicht zu rechnen gewesen, hier unter den schönen Damen beim Autozubehör.





In vitro veritas

20 03 2009

Pappeln säumten den Weg. Die Sonne strahlte in den blauen Frühlingshimmel. Die endlose Chaussee entlang fuhr ich zwischen Korn- und Rapsfeldern, lange schon lag Bicklingen hinter mir, der Boden wurde lehmig, da erblickte ich das Gut Sophienhof. Majestätisch hob sich der Schlossbau in die ebene Landschaft. Kies knirschte unter den Rädern, als ich in den von Rosen bestandenen Hof rollte. Monsieur Dupont, der Schlossherr, erwartete mich bereits auf der Freitreppe. Er öffnete mir den Schlag.

„Wie ich mich freue, Sie zu sehen! Wunderbares Wetter haben Sie heute mitgebracht! Und ich verspreche Ihnen, es wird ein sehr interessanter Tag werden!“ Sein Diener Jean nahm mir den Mantel ab. Dupont zischte ihm zu: „Ah! C’con me tape sur les couilles!“ Aber es gibt eben Sonntage, an denen ich so gut wie kein Französisch verstehe.

Nach einem Gang durch den Garten – dort sah ich die Reiterstandbilder Eberhards des Prächtigen und Ludwigs des Begriffsstutzigen – führte mich Dupont in den Spiegelsaal. Jean kredenzte einige Häppchen. Durch die Fenster blickte ich auf den Gemüsegarten. Ich äußerte den Wunsch, mir zuerst einen Überblick über die Weinberge zu verschaffen. Ein mühsam unterdrücktes Prusten von Jean kam dem milden Lächeln des Hausherrn zuvor. „Lieber Freund“, antwortete er mir, „hat man Ihnen denn so gar nichts von meinem Weingut erzählt?“ Ich bedauerte. So begann ein wirklich interessanter Tag.

„Wein“, sagte Dupont, während er mir in den Schutzkittel half und Jean die Plastikhaube für den Kopf anreichte, „ist chemisch nicht sehr viel mehr als Wasser, Alkohol sowie eine wechselnde Anzahl von bestimmten Geschmacks- und Geruchsstoffen. Warum sollten wir uns die Mühe machen, das ganze Zeug aus Trauben herzustellen? Noch dazu mit einer solchen Unsicherheit, weil wir vom Wetter und ähnlichen Dingen abhängig sind?“ Ich begriff erst nicht. Dupont sprach es aus. „Wir stellen den Wein komplett synthetisch her. Bessere Qualität werden Sie auf dem ganzen Markt nicht finden.“

Das halbe Kellergeschoss nahm der Abscheider ein. Eine schäumende Flüssigkeit lief in langen Schläuchen an der Decke entlang. „Wir verwenden nur höchste Qualität. Billiges Bier können wir uns nicht leisten.“ Bier? „Natürlich Bier. Irgendwo muss der Alkohol herkommen. Diese Anlage trennt den Rohstoff in alkoholfreies Bier“ – hier zeigte er auf ein gewaltiges Fallrohr, das im Boden verschwand – „und bierfreien Alkohol.“

Die Räume im ersten Stock beherbergten eine ansehnliche Anzahl von Laboren. „Hier sehen Sie die Produktion von Shikimisäure. Dort drüben ist unsere Polyphenol-Abteilung. Und direkt vor Ihnen ist das Forschungslabor. Wir arbeiten gerade an gewissen Oxidationen, um Alkansäuren zu verestern. Das ist der letzte Pfiff, der den Weingeschmack wirklichkeitsgetreu macht.“ Ob das denn tatsächlich nach Wein schmecke? Dupont öffnete einen der in der Wand eingelassenen Zapfhähne und ließ die goldgelbe Flüssigkeit in ein Glas rinnen. „Zum Wohle! Sie verkosten gerade einen frischen Gewürztraminer, Herstellungsdatum: heute Vormittag.“ Es roch nach Mandel und bitterer Orange, Nelken und Anis. Ein köstlicher Tropfen.

„Bisher haben wir nur Weißweine hergestellt. Sie sind verhältnismäßig einfach. Gut drei Dutzend Aromen werden im Gaschromatographen analysiert und in der richtigen Menge zusammengesetzt. Aber wir experimentieren bereits an den ersten Rotweinen. Die sind chemisch viel komplizierter. Und sie schmecken auch noch ein bisschen kantig.“ Ich nahm ein zweites Glas, um mit meinem Gastgeber anzustoßen, doch er wehrte entschieden ab. „Wissen Sie, ich trinke keinen Alkohol. Um ehrlich zu sein, ich habe nicht die leiseste Ahnung von Wein. Aber müsste ich das auch?“ Pikiert fragte ich ihn, warum er als Chemiker sich nie mit Weinen beschäftigt habe. Wie überrascht war ich, als Dupont hell auflachte. „Ah non! Sie verkennen mich! Ich bin Philosoph. Gerade sitze ich an einem Werk zur Rezeption von Blaise Pascal. Ein Kapitel über Nietzsche ist fertig. Ich zeige es Ihnen gerne.“

Ob ich wollte oder nicht, es beschäftigte mich doch. „Monsieur“, fragte ich ihn, „halten Sie es als Philosoph für ethisch vertretbar, unreinen Wein einzuschenken?“ Er lächelte. „Wenn Sie mir erlauben, Moses Saphir zu zitieren: ‚Der Wein und die Wahrheit sind sich nur insofern ähnlich, als man mit beiden anstößt.‘ In Amerika sind künstliche Weine längst Normalität. Man panscht Chemikalien zu neuen Sorten zusammen oder kontrolliert den Output – keine charakteristischen Jahrgänge, dafür ein stereotyper Einheitsgeschmack, den dieses Volk so schätzt. Auch australische und neuseeländische Weine solcher Machart werden hier gehandelt, die EU hat nichts dagegen einzuwenden. Nur in Ihrem schönen Land werden die Weine noch nach natürlicher Methode hergestellt.“ „Dennoch verstehe ich den Aufwand nicht“, hakte ich nach, „dies Verfahren ist umständlicher und teurer, als Spitzenweine auf die übliche Art zu erzeugen.“ Dupont gab mir Recht. „Es kann also nur Ihr Ziel sein, dekadenten Weinnasen einen überteuerten Chemiecocktail zu verkaufen.“ „Ich sehe“, gab er zur Antwort, „Sie haben es verstanden. In der Tat, ein philosophisches Experiment. Ich bitte um Pardon, wenn ich mich vorhin etwas degoutant ausgedrückt haben sollte. Man ist so oft mit der Dummheit des Pöbels gestraft, der einfach nicht begreifen will, was er doch sieht.“

Jean begleitete uns ins Arbeitszimmer, wo ein Tischchen mit Räucherfisch und Salaten nebst frischem Weißbrot uns erwartete. Das Porträt des Schlossherrn hing über dem Kamin. Unter dem Fenster stand ein geräumiger Käfig, in dem zwei Wiesel sich um ein Stück Hühnerfleisch balgten. Monsieur Dupont öffnete eine Flasche Sophienbräu. „Ich erlaube mir? Meine Hausmarke. Sie müssen schließlich noch fahren.“